Rezension

Der Dinosaurier als Film-Idol und faszinierender Forschungsgegenstand

Ausgestorben, um zu bleiben - Bernhard Kegel

Ausgestorben, um zu bleiben
von Bernhard Kegel

Bewertet mit 5 Sternen

Die rote Mappe mit den – farbigen – Dinosaurier-Abbildungen wurde bei uns nur sonntags aufgeklappt und nur mit sauberen Händen. Lange bevor ich als Kind den ersten Film gesehen oder das erste Sachbuch kennengelernt hatte, lernte ich, dass um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert ein Vorfahr jahrelang Kakao getrunken haben musste, um die 30 Sammelbilder im DIN A 4-Format der Reichardt Kakao-Compagnie zusammenzubekommen. Dinos Angucken war seitdem Familientradition. Jahrzehnte später folgte Ernüchterung, als mein Sohn mit 4 Jahren ins Dino-Alter kam. „Was finden Sie denn an den Viechern interessant,“ fragte seine Erzieherin im Kindergarten „das ist doch bloß Spielzeug“. Fan oder Ignorant, man muss sich offenbar für eine Seite entscheiden. Bernhard Kegels frühes Dinosaurier-Bild wurde u. a. von der steinernen Skulptur vor dem Berliner Aquarium geprägt. Mit dem Anspruch, endlich ein aktuelles Buch über Dinosaurier für Erwachsene vorzulegen, verknüpft er die Dinomania der Populärkultur mit heutigem Wissensstand und einem kritischen Blick auf Dinosaurier-Bilder, die uns seit früher Kindheit begleiten. Die Notwendigkeit eines aktuellen Buchs zum Thema ergibt sich laut Kegel bereits daraus, dass 85% aller heute bekannten Dinosaurier-Arten erst nach 1990 benannt worden sind.

Kegel spürt prominenten Persönlichkeiten nach, die Dinosaurier-Knochen oder -Spuren entdeckten, erklärt den Einfluss bildender Künstler auf populäre Dinosaurier-Bilder in unseren Köpfen und analysiert schließlich den Dino als Idol und Filmstar, von Gertie the Dinosaur (1914) bis zu den fiesen kleinen Raptoren in Jurassic Park (1993). Interessant fand ich beim Rückblick in die Vergangenheit, wie Menschen schon immer ihre Funde mit der Vorstellungskraft ihrer Epoche zu interpretieren versuchten. Oft stand am Beginn einer neuen Sichtweise nur eine Kralle oder ein Zahn, die die Frage aufwarfen: welchen Nutzen hatte dieser Körperteil für das Tier? Knochenfunde können wenig über das Verhalten von Tieren erzählen, über Familienleben und Fortpflanzung, wenig über die Färbung von Haut oder Gefieder. Nur wenn Pflanzenreste gemeinsam mit den Funden geborgen und fürs Publikum dargestellt werden können, erfährt man z. B. von Bäumen oder Farnen, die die Lebensbedingungen der Tiere prägten. Dem Klischee des filmreif trampelnden und brüllenden Raubtiers tritt Kegel mit der nüchternen Frage entgegen, ob ein Beutegreifer der Gegenwart mit diesem Verhalten wohl erfolgreich jagen würde … Welchen Sinn ein langer Hals, ein kleiner Kopf oder die Stellung der Beine zum Rumpf gehabt könnten, das führt stets auf die Frage zurück, wie die Tiere lebten und sich verhielten. Vorstellungen von Schwerfälligkeit und mangelnder Intelligenz aufgrund der imposanten Körpergröße von Sauriern wären spätestens mit den Funden kleiner, agiler und gefiederter Saurier in der Mandschurei in der Mottenkiste der Forschung gelandet. Seit der Jehol-Fossilien habe sich die Filmindustrie leider endgültig vom wissenschaftlichen Fortschritt abgekoppelt, so Kegel.

Bernhard Kegels mit rund 250 Seiten flott lesbare Bestandsaufnahme fordert zur Selbstkritik der Profession auf; denn gerade die Erforschung der Dinosaurier habe gezeigt, wie wenig sicher Forscher sich stets der Vollständigkeit ihres Wissens sein konnten. Kegel schlägt schließlich den Bogen zu der Frage, warum trotz Bildungsarbeit Naturgeschichtlicher Museen Studenten der Naturwissenschaften heute noch immer spontan Dinosaurier nach dem Kenntnisstand um 1900 zeichnen, als hätte es die Forschung seitdem nicht gegeben. Daran müsse eine frühe Prägung durch die verkitschte Darstellung auf Kinderschlafanzügen schuld sein, vermutet der Autor. Ein Blick auf frühe Multiplikatoren im Leben unserer Kinder und deren naturwissenschaftliche Interessen tut demnach not.