Rezension

Der Fluch besonders zu sein

Wie man die Zeit anhält
von Matt Haig

Bewertet mit 5 Sternen

Zunächst möchte ich etwas zur Aufmachung schreiben, weil ich die Gestaltung des Buches richtig schön finde. Dabei hat mich nicht nur die Gestaltung des Covers mit seiner Farbauswahl, die alle Übergänge zwischen Blau und Gelb enthält, überzeugt. Gekrönt wird das Bild des liegend in der römisch bezifferten Uhr, wartenden Tom Hazard von seinen Erinnerungen, die als lose Seiten umherfliegen. Die kurzen Kapitel starten mit formschönen Versalien. Sie sind mit Ort und Zeitpunkt des Kapitels überschrieben. Die Schriftarten für Überschriften und Seitenzahlen erinnern sehr stark an das Ziffernblatt einer alten Taschenuhr. Die Aufteilung des Buches in fünf Teile ist sehr gelungen.

„Wie man die Zeit anhält“ macht uns deutlich, wie wichtig Vergänglichkeit und Eingeschränktheit für ein erfülltes, glückliches Leben sind. Nur so ist man gezwungen, jeden Augenblick bewusst zu leben. Wer verschwenderisch mit seiner Zeit umgeht, betrügt sich selbst um das nächste Glück. Die Erkenntnis, dass Luxus und Abwechslungsreichtum allein genossen weniger wert sind, als wenn man alles mit jemanden teilen kann, schwingt hier ebenfalls klar mit. Präsent sind auch die Themen Jugend- und Konsumwahn. Der Appell „Weniger ist manchmal mehr“ durchzieht das ganze Buch. Dabei ist Matt Haig niemals beschuldigend oder anklagend. Alles ist verpackt in eine liebevolle, mitreißende Geschichte. Vielleicht lese auch nur ich es so zwischen den Zeilen heraus.

Der Protagonist Tom Hazard ist der über 400 Jahre alte Alba, das ist ein  Mensch, der 15 mal langsamer altert als „normale“ Menschen, der vor Jahrhunderten seine geliebte Rose verloren hat, der seitdem ein verzweifeltes Leben führt. Aus lauter Angst, Ähnliches könnte ihm erneut widerfahren, ist er ständig auf der Hut, irgendwie dauerhaft auf der Flucht. Genuss und Freude sind ihm abhanden gekommen. Die Tatsache, berühmte Persönlichkeiten wie F. Scott Fitzgerald, Shakespeare, Samuel Johnson und Josephine Baker persönlich gekannt zu haben, ist ihm auch kein Trost. Ich mochte diesen getriebenen Underdog-Charakter sehr.

Hendrich, ebenfalls ein Alba, wirkt auf mich wie unter Kontrollzwang. Mit seinen demagogischen Zügen unterdrückt er regelrecht alle ihm bekannten Albas, nutzt sie aus und lässt sie unethische Dinge tun. Er bietet Zuckerbrot und Peitsche. Wer in seinem Sinne agiert, kann an immer wieder neuen Orten ein schönes Leben führen. Angst und Misstrauen werden von ihm geschürt, damit niemand aus seinem goldenen Käfig ausbricht. Für ihn konnte ich kaum Verständnis entwickeln.

Rose und Camille sind die beiden Frauen in Toms Leben. Rose, seine erste große Liebe, ist mit ihm den gefährlichen Weg einer Beziehung gegangen. Sie ist leider viel zu früh verstorben. Nachdem sich Tom für lange Zeit Gefühle für einen anderen Menschen verboten hat, ist Camille die erste, die wieder sein Interesse weckt. Beides sind starke, beharrliche Frauen, die mich beeindruckt haben.

Omai ist Tom mehrmals in seinem Leben an unterschiedlichen Orten unter verschiedenen Identitäten begegnet. Ihr gegenseitiges Einfühlungsvermögen und Verständnis ist die Basis ihrer Freundschaft, die auch ohne durchgehenden Kontakt Jahrhunderte übersteht. Er ist es, der ihm schlussendlich die Augen für das Wesentliche im Leben öffnet. Auch wenn Omai weniger Kapitel gewidmet sind, fand ich seine Rolle sehr wichtig für den Gesamtzusammenhang.

Der Schreibstil ist gut zu lesen, aber auch nicht trivial. Vor Allem die vielen nicht chronologischen Zeitsprünge erfordern Konzentration. Wenn man sich darauf einlässt, ist das allerdings kein Problem.

Fazit: Mir hat das Lesen sehr gefallen. Es war eins der besten Bücher, die ich 2018 gelesen habe. Ganz klare Leseempfehlung.