Rezension

Der Fokus liegt zu sehr auf den Einzelschicksalen

Die Stadt des Zaren - Martina Sahler

Die Stadt des Zaren
von Martina Sahler

Bewertet mit 3 Sternen

1703: Zar Peter setzt den Grundstein für Sankt Petersburg. Der Aufbau der Stadt, in einem Sumpfgebiet, ist alles andere als leicht und bietet viele Gefahren, aber auch Möglichkeiten und zieht daher Menschen von überall her an. Doch nicht alle Menschen arbeiten hier freiwillig, auch Leibeigene und Kriegsgefangene müssen ihren Teil dazu beitragen.

Sankt Petersburg – eine interessante Stadt mit einer interessanten Geschichte, schon ihre Entstehung fasziniert, einen Roman, der sich mit damit befasst, wollte ich sehr gerne lesen. Die Autorin war mir noch unbekannt, aber das muss ja nichts heißen. Dazu dieses wunderschöne Cover, der Roman wurde schnell ein Muss für mich und ich hatte das Glück, ihn innerhalb einer Leserunde lesen zu können.

Leider hat er nicht ganz meine Erwartungen erfüllt, ich hätte mir gewünscht, dass der große Zusammenhang, der Bau einer Stadt an einer eigentlich ungeeigneten Stelle, mehr im Focus der Geschichte steht, und nicht, wie es der Fall ist, vor allem Einzelschicksale. Und auch Zar Peter selbst kommt mir ein wenig zu kurz, wenn er auftaucht, dann meist vor allem, um historische Hintergründe und Zusammenhänge zu referieren, als Mensch kommt er mir kaum nahe.

Das tun dann schon eher die Personen, deren Schicksale im Mittelpunkt stehen, die deutsche Arztfamilie, die bereits einige Jahre in Moskaus Ausländervorstadt gelebt hat, die russische Adelsfamilie und ihre Leibeigenen, die schwedischen Kriegsgefangenen und die Experten aus verschiedenen Ländern – bei aller Vielfalt hätte ich mir auch ein paar freie russische Arbeiter gewünscht, denn Zar Peter tat sich mit seinen, für die russische Bevölkerung nahezu revolutionären Ideen, im eigenen Land doch recht schwer.

Mit dem Einstieg in den Roman tat ich mir etwas schwer, vielleicht wäre es eine gute Idee gewesen, nicht mit eher trockenen historischen Fakten ins Haus zu fallen, sondern mit einer persönlicher gehaltenen Szene, die den Leser direkt packt. Es gibt später immer wieder sehr gut gelungene Szenen, die den Leser direkt mit in das entstehende Sankt Petersburg nehmen und es regelrecht vor dem geistigen Auge erscheinen lassen, z. B. eine Bootsfahrt der Kinder der Arztfamilie, die gerade neu zugezogen ist, bei der der Leser alles durch die Augen dieser Drei erlebt.

Die einzelnen Charaktere sind in ihrer Vielfalt gut gelungen, ihre Entwicklungen erscheinen mir aber nicht immer plausibel. Helena, z. B., die älteste Tochter der bereits erwähnten Arztfamilie, ist zunächst sehr flatterhaft und eher unsympathisch, wandelt sich aber im Laufe des Romans, jedoch für mich nicht wirklich nachvollziehbar.

Manche persönliche Schicksale erscheinen mir auch zu übertrieben, oft wäre weniger mehr gewesen, wie z. B. das Zojas, einer Leibeigenen. Das Leben einer Leibeigenen ist schon schwer genug, das muss nicht noch dramatisch verstärkt werden, und auch im Leben ihrer Herrschaft wäre weniger mehr gewesen. Mich hätten viel mehr die verschiedenen Lebensumstände der einzelnen Bevölkerungsgruppen, die am Aufbau beteiligt waren bzw. die von der neuen Stadt angelockt wurden, ganz allgemein interessiert.

Auch die Geschichte um zwei italienische Brüder ist mir zu viel, ein zusätzlicher Charakter wäre hier mehr als entbehrlich gewesen, hier wurde es mir dann auch eindeutig zu kitschig. Wie bereits gesagt, die einzelnen Schicksale drängen zu sehr in den Vordergrund, sie ganz „normal“ zu erzählen, und dabei mehr auf die Stadt- und Entstehungsgeschichte selbst einzugehen, hätte mir besser gefallen. So ist der Roman am Ende auch mehr Liebesroman und das Historische geht immer wieder unter.

Sprachlich kann mich der Roman nicht immer überzeugen. So wird z. B. zu viel „getrippelt“ und oft erscheint mir das überhaupt nicht passend für den jeweiligen „Trippler“.

Recht gut gelungen empfinde ich die Zusatzinhalte, es gibt zwei Karten, ein Personenverzeichnis, mit kenntlich gemachten historischen Persönlichkeiten und eine Zeittafel. Das Nachwort der Autorin hätte ich mir etwas ausführlicher gewünscht. In diesem Nachwort werden weitere Romane über Russland angekündigt, die ich aber wohl nicht lesen werde. Immerhin wurde mein Interesse an Zar Peter geweckt.

Leider war der Roman, auf den ich mich sehr gefreut hatte, für mich eher enttäuschend. Ich vergebe daher nur knappe 3 Sterne. Wer gerne Liebesgeschichten vor historischem Hintergrund liest, könnte von dem Roman dennoch gut unterhalten werden.