Rezension

Der Funke ist nicht übergesprungen

Das Mädchen mit den gläsernen Füßen - Ali Shaw

Das Mädchen mit den gläsernen Füßen
von Ali Shaw

Seltsame Dinge gehen auf St. Hauda’s Land vor: Eigentümliche geflügelte Kreaturen schwirren umher, in schneebedeckten Wäldern versteckt sich ein Tier, das mit seinem Blick alles in Weiß verwandelt, im Meer sind wundersame Feuerwerke zu beobachten und Ida Maclaird verwandelt sich langsam, von den Füßen aufwärts, zu Glas. Nun kehrt sie an den Ort zurück, wo alles begann, in der Hoffnung, hier Hilfe zu finden. Doch stattdessen findet sie die große Liebe: Mit ihrer traurigen und trotzigen Art schafft Ida es, die Knoten in Midas Herzen zu lösen. Gemeinsam versuchen sie nun, das Glas aufzuhalten.

Leider konnte ich von den Hauptpersonen, Ida und Midas, kein klares Bild bekommen, was nicht zuletzt daran lag, dass der Autor versucht hat, zu viele Nebenstränge zu bedienen und sich dabei verzettelt hat. Ida und Midas waren für mich nicht greifbar – so als wären sie von einem dichten Nebel umgeben und man nur erahnen kann, was sich wirklich dahinter verbirgt.

Im Kontrast dazu hat der Autor das Hauptaugenmerk auf die zwischenmenschlichen Beziehungen seiner Charaktere gelegt und in mir das äußerst beklemmende Gefühl geweckt, sehr intime Gedanken von mir unbekannten Personen zu lesen, über die ich mir überhaupt kein Urteil bilden darf. Aufgrunddessen habe ich das Buch mit der unbefriedigenden Sorge, etwas nicht verstanden oder verpasst zu haben, beendet.

Obwohl der sehr ruhige, melancholische Schreibstil von Ali Shaw wirklich sehr schön zu lesen ist, ist er zugleich auch sehr anstrengend und erfordert eine hohe Konzentration. Zunächst gilt es am Anfang eines jeden Kapitels herauszufinden, aus wessen Sicht gerade erzählt wird. Da der Kapiteleinstieg nicht selten mit einer recht ausufernden Umgebungsbeschreibung einhergeht, weiß man häufig über mehrere Absätze überhaupt nicht, um wen es gerade geht. Daher habe ich oft dazu geneigt, den Abschnitt noch einmal neu anzufangen, sobald ich wußte, wer der Erzähler ist. Auf Dauer war das nicht nur ermüdend, sondern vor allem auch so nervtötend, dass ich streckenweise gar keine Lust mehr hatte, die Geschichte weiterzuverfolgen.

Neben den idyllischen, aber zu langen Landschaftsbeschreibungen waren auch die vielen Schachtelsätze kräftezehrend und mühselig zu lesen. Es hat mir einfach keinen Spaß gemacht, mich durch die vielen langen Satzgefüge zu kämpfen und immer ganz genau auf jedes Wort achten zu müssen. Dennoch ist es dem Autor gelungen, St. Laudas Land so zauberhaft und geheimnisvoll darzustellen, dass ich mich sofort in die kleine Inselgruppe verliebt habe.

Positiv hervorheben möchte ich die Gestaltung des Buches, mit der sich der script5 Verlageinmal mehr übertroffen hat. Der zarte Grünton und die winterliche Aufmachung passen perfekt zu St. Laudas Land und transportieren die ruhige, traurige Stimmung der Geschichte sehr gut. Das Buch hat außerdem einen silbern-schimmernden Schnitt und ist somit garantiert ein echter Hingucker in jedem Bücherregal.

Obwohl Ali Shaw in einem Debüt einige viel versprechende Ansätze verfolgt, konnte mich die Geschichte einfach nicht begeistern, der Funke ist nicht übergesprungen. Dass viele Fragen nicht beantwortet worden und der Autor nicht einmal eine Erklärung für Idas gläserne Füße parat hatte, war wohl nur der Tropfen auf dem heißen Stein. Ehrlich gesagt kann ich auch nicht sagen, wem ich ein Buch, das mich derart ratlos zurückgelassen hat, empfehlen soll.