Rezension

Der Gesang des Nachtvogels in der Stadt des Teufels

MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 1) - Robert McCammon

MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 1)
von Robert McCammon

Bewertet mit 5 Sternen

Carolina Kolonie, 1966: Der junge Gerichtsdiener Matthew Corbett und sein Mentor, der fünfundfünzig Jahre alte Richter Isaac Woodward, reisen in die Siedlung Fount Royal, um dort einen Hexenprozess zu führen. Rachel Howarth, eine attraktive und exotische Schönheit, wird der Unzucht mit Satan persönlich, des zweifachen Mordes und der Hexerei beschuldigt. Tatsächlich scheint das Böse in dem kleinen Städtchen nahe den Sümpfen umzugehen: Missernten, langanhaltende Regenfälle, Brände und Mord sowie Erscheinungen dämonischer Gestalten plagen die Einwohner und schlagen immer mehr von ihnen in die Flucht.
Doch geht wirklich eine Hexe in Fount Royal um oder steckt mehr dahinter? Der scharfsinnige und aufgeschlossene Matthew hegt Zweifel und widmet sich der Wahrheitsfindung mit all seiner Kraft. Doch die Beweise gegen Rachel sind erdrückend und Ungeduld, Wut und Angst der Einwohner wachsen rasant.

Leseeindruck

Von der ersten Seite an versetzt Robert McCammon mit seinem Werk "Matthew Corbett und die Hexe von Fount Royal" - Band 1 (OT: Speaks the Nightbird (2002)) den Leser in die Zeit um 1700 zurück. Er tut dies auf eine intensive und bildhafte Art und Weise, die mich sofort gefangen genommen hat. Die Gerüche und Geräusche, die Landschaft, die Sprache und Denkweise der Menschen sind nicht nur glaubhaft, sondern nahezu greifbar und (in meinen Augen) realistisch dargestellt. Es mag sein, dass nicht alles historisch korrekt wiedergegeben wurde aber der Autor fügt Fiktion und Historie derart galant zusammen, dass ich mich durchweg gut unterhalten fühlte. Besonders gelungen ist hierbei die Darstellung des damaligen (Aber)glaubens. Wie schnell urteilten die Menschen doch anhand (aus heutiger Sicht) ungeheuerlicher Kriterien. Der fortschrittlich denkende Matthew kommt hier beinahe einem Außenseiter gleich. Indem er die Dinge hinterfragt, sie aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und dabei stets versucht unvoreingenommen zu bleiben, stellt er einen drastischen Gegensatz zu den Einwohnern Fount Royals dar. Sein Mentor Woodward verfügt natürlich ebenfalls über einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, denkt aber generationsbedingt noch in alten Mustern. Allerdings verfügt er über mehr Weitsicht und Erfahrung, bildet so Matthews Gegenpol, der sich gelegentlich leicht in Naivität und jugendlichem Leichtsinn verliert. Diese beiden Figuren tragen hervorragend durch die Geschichte.
Doch auch Rachel Howarth, die vermeintliche Hexe, ist sehr gut gezeichnet. Ihre Andersartigkeit, ihr Stolz und ihre Schönheit könnten klischeehaft verstanden werden, sind in meinen Augen aber die Verkörperung dessen, was die einfach gestrickten Einwohner fürchten. Und was man fürchtet, das bekämpft man – mit allen Mitteln. Indem Rachel nicht mit der Masse schwimmt, wird sie zur Ausgestoßenen und damit zu einem idealen Sündenbock – zur Hexe, die Schuld an allem Übel trägt und deshalb vernichtet werden muss.
Und dann sind da noch die Einwohner der Siedlung: Der Arzt, der Lehrer, der Schmied, der Stadtgründer, der Rattenfänger, die Stadtwache und viele mehr. Sie alle haben ihre Leichen im Keller, ihre kleinen wohlbehüteten Geheimnisse und Schwächen und damit natürlich auch eigennützige Motive. Neid, Missgunst, Eifersucht und Habgier oder auch noble Beweggründe – in Fount Royal findet man dies alles und Matthew muss bald erkennen, dass die Wahrheit zu finden der Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen gleichkommt.

"Inzwischen schien ihm, dass man sich jederzeit und überall, ohne jegliche Vorwarnung, auf unsicheren Boden begeben konnte. Es gab keine einfachen Antworten auf die Fragen dieser Welt, und die Fragen schienen jedes Jahr komplizierter zu werden."

Die Art und Weise wie McCammon diese Geschichte erzählt, seine Figuren im Setting positioniert und die Gruppendynamik beschreibt, lässt einen gewissen (teilweise sogar philosophisch angehauchten) Tiefgang erkennen. Er hält der Gesellschaft einen Spiegel vor Augen, denn trotz Aufklärung und Weiterentwicklung neigen wir auch heute noch zu Vorurteilen und lassen uns durch diese leider viel zu oft fehlleiten.

"In dieser Stadt ist die Wahrheit ein Gespenst, das sein Leben schon vor langer Zeit ausgehaucht hat."

Da es sich hier um den ersten Band einer Reihe handelt, werden nicht alle Fragen beantwortet und das Ende ist offen. Im Original sind bis dato (soweit mir bekannt ist) bereits sechs Bände rund um Matthew Corbett erschienen und ich hoffe sehr, dass die Reihe auch in Deutschland weiter verlegt wird. Die Mischung von Historischem Krimi, gepaart mit Mystery- und Thrillerelementen ist auf jeden Fall lesenswert und besonders.
McCammon versteht es unglaublich gut, den Leser auf falsche Fährten zu locken, lässt ihn rätseln und zweifeln, schockiert ihn mit zahlreichen Wendungen und streut hier und da eine kleine Prise feinen Humor mit ein.
Neben dem durchweg spannenden Inhalt und einem sehr angenehmen, flüssigen und stets angemessenen Schreibstil, der hervorragend mit diesem harmoniert, legt der Autor großen Wert auf die Charakterentwicklung. Wie oben beschrieben, sind die Figuren dreidimensional, haben Ecken und Kanten und agieren sehr menschlich. Insgesamt also ein stimmiges Gesamtbild, an dem ich nichts auszusetzen habe.

Fazit

Eine uneingeschränkte Leseempfehlung für Liebhaber des Krimis im historischen Gewand, gepaart mit Mystery- und Thrillerelementen. Ein flüssiger und bildhafter Schreibstil sowie dreidimensionale Charaktere runden das durchweg spannende Lesevergnügen perfekt ab und lassen dabei sogar noch Raum für ein wenig wohl dosiertem Humor.