Rezension

Der Geschmack der Sehnsucht

Der Geschmack der Sehnsucht - Kim Thúy

Der Geschmack der Sehnsucht
von Kim Thúy

Bewertet mit 4.5 Sternen

Kennt man das erste Buch der vietnamesischstämmigen Kanadierin Kim Thúy, dann hält man den neuen Roman wie einen alten Freund in der Hand. Es ist genauso zart, fein und wunderschön aufgemacht. Der Ton ist der selbe: poetisch, aber glasklar, sehr kurze, locker gruppierte Kapitel, diesmal mit farbig abgesetzten vietnamesischen Begriffen versehen. Auch der Inhalt ähnelt. Wieder sind es kurze Erinnerungssplitter, die zusammengefügt einen Einblick in die Kindheit, Jugend, Gedanken- und Gefühlswelt einer früh nach Kanada emigrierten Vietnamesin geben. Doch ist der Schwerpunkt hier anders gesetzt. Mãn wurde als uneheliches Kind schon früh von der Mutter abgegeben, kurzfristig von einer Art Nonne versorgt, bis sie schließlich bei einer Lehrerin ihren Platz zum Leben und ihre dritte "Mama" fand. Diese gerät eher unfreiwillig in die Wirren des Vietnamkrieges, der sehr beiläufig, aber eindrücklich thematisiert wird. Um Mãn eine bessere Zukunft zu verschaffen, verheiratet sie sie an einen älteren Vietnamesen, der in Kanada lebt, eine durchaus gängige Praxis, gegen die sich Mãn auch nicht auflehnt. Auflehnung ist ihr sowieso völlig fremd. Sie nimmt die Dinge so, wie sie kommen. Unauffällig leben, größere Gefühle nicht zulasse, so hat sie es gelernt. Und so fügt sie sich auch in ihr neues Leben in einer Suppenküche in Montreal. So stört sie sich auch nicht an der völligen Gefühlsarmut in ihrer Ehe, bekommt zwei Kinder und verschafft dem kleinen Restaurant einen guten Ruf. Ihre ganze Energie und Liebe steckt sie in die Zubereitung köstlicher, authentischer Gerichte, die sie nicht nur mit ihrer Mutter und Heimat verbinden, sondern für sie den "Geschmack der Sehnsucht" tragen. Ihre Kochkünste haben nicht nur ungeheuren Erfolg bei ihren Landleuten, sondern sie lernt auch eine Kanadierin kennen, die mit ihr  ein Restaurant im größeren Stil aufzieht. Diese Julie wird zu einer wahren Freundin, die mit ihrer Herzlichkeit und Offenheit auch Mãns Gefühlspanzer etwas aufzubrechen vermag. Auf einem Kochseminar in Paris lernt sie dann Luc kennen und lieben. Auch wenn dieser Liebe keine Zukunft beschert ist, verändert sie Mãn doch nachhaltig. Das Ganze ist so atmosphärisch dicht und sinnlich beschrieben, gleichzeitig aber auch so zart, knapp und präzise, das das ganze trotz der berührenden Thematik nicht in den Kitsch abgleitet. Es erzählt leise, fast behutsam von der Sehnsucht nach Heimat, der Zerrissenheit, aber auch dem Glück in der Fremde und ist auch aufgrund seiner wunderschönen Gestaltung eine kleine Perle.