Rezension

Der Lebenslauf einer dem Laufen verschriebenen Sportlerin

Die Frau, die allen davonrannte
von Carrie Snyder

Bewertet mit 5 Sternen

Kanada 1908: Aganetha Smart wird als jüngstes Kind einer langen Geschwisterreihe auf einer Farm geboren. Der Laufsport wird früh ihr Ein und Alles. Mit 18 nimmt sie eine Fabrikarbeit in Toronto auf und findet in dem Besitzer einen sportlichen Förderer. Zwei Jahre später gewinnt Aganetha bei den Olympischen Spielen in Amsterdam in dem erstmals für Frauen zugelassenen 800-Meter-Lauf die Goldmedaille und wird zum bekannten Werbestar. Private Probleme lassen sie bald ihre Läuferinnenkarriere aufgeben. Im hohen Alter von 104 Jahren lebt sie, gebrechlich, in einem Altersheim in ihrer Heimat. Dort geben zwei junge Leute vor, Filmaufnahmen und ein Interview mit ihr machen zu wollen. Es stellt sich heraus, dass es zwischen Aganetha und ihnen eine in der Vergangenheit liegende Verbindung gibt, die Aganetha mit einer nie offenbarten Lüge konfrontiert …

 

Nicht nur Laufbegeisterte werden bei dem Buch voll auf ihre Kosten kommen. Am Beispiel der fiktiven Olympiateilnehmerin Aganetha ist so viel zu erfahren über die Trainings- und Wettkampfbedingungen speziell weiblicher Athleten in den 20er Jahren. Von der Warte der Emanzipation und Frauendiskriminierung aus betrachtet, ist es interessant zu lesen, dass schon bald nach den Olympischen Spielen von 1928, in denen erstmals Frauenwettkämpfe in ausgewählten Leichtathletikdisziplinen stattfanden, der 800-Meter-Lauf für Frauen bis zu den 60er Jahren verboten wurde. Es berührt sehr zu hören, welche schwierige Phase Aganetha während ihrer aktiven Zeit als Sportlerin durchmacht. Als Mädchen vom Land erwartet sie in der Stadt manche Lehre, insbesondere in Sachen Freundschaft, Liebe und sportlicher Kollegialität.  Schnell muss sie erwachsen werden. Eine Goldmedaille im Sport gewinnt sie zwar. Aber im wirklichen Leben steht sie nicht auf der Siegerseite.

Der Sport macht allerdings nur den einen Teil der Geschichte aus. Der andere Aspekt ist die gelungene Darstellung der komplexen Familiengeschichte von Aganetha, die sie während der wenigen Stunden mit den vermeintlich fremden jungen Leuten resümiert. Ein dem Vorwort vorangestellte Familienstammbaum hilft, sich in der verzweigten Familie Smart zurechtzufinden, von der jedes Mitglied ein spezielles eigenes Schicksal hat.

 

Ein beeindruckender Debütroman, den zu lesen ich nur empfehlen kann.