Rezension

Der letzte „Sommer der Freiheit“ vor dem 1. Weltkrieg

Der Sommer der Freiheit - Heidi Rehn

Der Sommer der Freiheit
von Heidi Rehn

Bewertet mit 4 Sternen

Die 21jährige Selma Rosenbaum verbringt, wie jedes Jahr, gemeinsam mit ihrer Familie die Sommerfrische in Baden-Baden. Ihr Vater ist Zeitungsverleger und Abgeordneter in Berlin und Selma hat es in ihrem bisherigen Leben an nichts gemangelt.

Im Sommer 1913 erwartet sie ihren Verlobten, den Rechtsanwalt Gero von Sudloff, in Baden-Baden. Leider ist er geschäftlich verhindert und als Entschuldigung sendet er Selma seinen Wagen. Einen roten Audi Typ C mit offenem Verdeck. Hinter dem Rücken ihrer Eltern, jedoch mit Wissen ihrer Großmutter und ihres Bruders hat Selma den Führerschein gemacht und nun vertreibt sie sich die Zeit, die sie ohne ihren Verlobten verbringen muss, mit kurzweiligen Fahrten.

Als sie auf einer dieser Erkundungsfahrten gemeinsam mit ihrem Bruder Grischa mit dem Auto liegen bleiben lernen sie Constanze Weißkirchner kennen – statt für Mode, Partys oder andere Vergnügungen interessiert sich Constanze für Motoren. Sie ist in der Maschinenfabrik ihres Vaters beschäftigt und möchte Ingenieur werden.

Selma und Constanze verstehen sich auf Anhieb sehr gut. Auf einem ihrer Ausflüge ins Elsass lernen sie den französischen Fotografen Robert Beck kennen. Immer wieder treffen sich die beiden Frauen mit Robert und verbringen den Tag gemeinsam. Sie sind jung, ausgelassen und wissen nicht, daß es in diesem Jahr vorerst ihr letzter „Sommer der Freiheit“ sein wird. Im darauf folgenden Jahr 1914 bricht der 1. Weltkrieg aus.

Nach der Sommerfrische kehrt Selma mit Gero nach Berlin zurück. Es scheint sie hätte ihr Glück gefunden – bis sie auf einer Abendveranstaltung Robert wieder trifft.

Mein Fazit:

 

Ich tue mich sehr schwer bei diesem Roman mit einer Rezension, leider weiß ich nicht so genau warum. Es gäbe so viel zu schreiben, doch das wäre allesamt gespoilert.

 

Es ist das 1. Buch das ich von der Autorin Heidi Rehn gelesen habe und es hat mir sehr gut gefallen. Der Schreibstil ist angenehm und das Buch liest sich flüssig.

Die Protagonisten sind allesamt sehr schön ausgearbeitet.

Selma, die vom Leben bisher nur verwöhnt wurde. Sie muss sich über nichts Gedanken machen, die gebratenen Tauben fliegen ihr direkt ins (sorry) Maul. Für ihr Alter und in der Zeit in der der Roman spielt ist sie meiner Meinung nach sehr forsch. Sehr selbstbewusst und fast schon revolutionär kommt sie eher nach ihrer Großmutter Meta nach als ihrer Mutter Hedda.

Constanze ist das totale Gegenteil von Selma. Sie interessiert sich für Motoren, arbeitet in der Maschinenfabrik ihres Vaters und wird diese später auch einmal erben. Mode, Tanzveranstaltungen und all die Dinge die Selma so faszinieren sind Constanze eher fremd. Aufgrund ihres Lebensalters und der fehlenden Erfahrung in Dingen des Amüsement wird sie von Selma manchmal liebevoll, manchmal aber auch herablassend „Küken“ genannt. Für mich ist Constanze jedoch die, die fester mit beiden Beinen auf dem Boden steht.

Robert, der französische Fotograf, behandelt Selma und Constanze fast mit der gleichen Liebenswürdigkeit. Tief in seinem Inneren hat er sein Herz jedoch nur an eine der beiden Damen verloren. Auch wenn er mit Ausbruch des 1. Weltkrieges auf einmal zur feindlichen Seite gehört, bleibt die Freundschaft und der Kontakt zwischen Selma, Constanze und Robert bestehen.

Gero, der Verlobte von Selma, ist mir anfangs sehr unsympathisch. Weil er selbst nicht nach Baden-Baden kommen kann, schickt er schwülstige Liebesbriefe, sehr anzüglich und für die damalige Zeit eigentlich viel zu freizügig im Gebrauch eindeutiger Worte. Sein Charakter entfaltet sich erst so richtig während des Krieges. Er hat seinen Weg gefunden.

Hedda, Selmas Mutter, ist erzkonservativ und hat während des Krieges auch nicht wirklich verstanden, daß alle Menschen Entbehrungen hinnehmen müssen. Statt dessen nörgelt sie über dieses und jenes und wenn ihr etwas nicht passt versteckt sie sich hinter ihrer Migräne.

Bruder Grischa (Christian) ist auch am Anfang eher unscheinbar und blass, entwickelt sich dann aber auch zu einem sehr liebenswerten Charakter der seine Erfüllung im Fliegen gefunden hat – und dann den Krieg in der Luft erlebt.

Großmutter Meta ist eine sehr starke Persönlichkeit, von ihr hat Selma sehr viel mitbekommen. Wenn ihre Tochter Hedda das kleine Geheimnis ihrer Mutter kennen würde, würde sie tagelang in Migräne verfallen.

Das waren die für mich wichtigsten Charaktere im Buch. Natürlich gibt es noch andere, auffällige und weniger auffällige Mitmenschen.

Der 1. Weltkrieg ist nicht vordergründige Handlung aber es wird sehr gut beschrieben was Krieg aus einem Menschen machen kann und wie er von den unterschiedlichen Beteiligten gesehen wird. Gero, im Schützengraben an der Front, und Grischa von seinem Flugzeug aus erleben beide das Gemetzel auf unterschiedliche Art und Weise aber für beide Männer ist es ein prägendes Erlebnis auf das sie ganz sicher gerne verzichtet hätten.