Rezension

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Der Roman von dem man spricht

Unterwerfung
von Michel Houellebecq

Bewertet mit 5 Sternen

Nach dem grauenhaften Anschlag auf die Zeitungsleute von Charlie Hebdoe durch islamisch geprägte Gewaltverbrecher in diesem Jahr, bekam das Buch "Unterwerfung" von Michel Houellebecq, das kurz danach erschien, große Aufmerksamkeit, weil es teilweise den Islam thematisiert. Vielleicht wäre es ohne diesen menschenverachtenden mehrfachen Mord nicht so schnell so bekannt geworden, aber meines Erachtens hätte man trotzdem in diesem Jahr von Houellebecq gesprochen und ihn und sein Buch kontrovers diskutiert. Ich war bei der Lektüre hin- und hergerissen und brauchte eine Weile, bis ich mir eine abschließende Meinung bilden konnte. Was immer man davon halten mag, es läßt kaum einen Leser kalt!

Nachdem Thilo Sarrazins Sachbuch „Deutschland schafft sich ab“ einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hat, anstatt eine Debatte zu entfachen über die Probleme, die Teile unserer muslimischen Mitbürger aufgrund ihrer zahlreichen Verweigerungen gegenüber der westlichen, laizistischen, kapitalistischen, demokratischen und zum großen Teil antireligiösen Gesellschaft verursachen, (es ist nicht gesagt, dass sie mit allem Unrecht haben), ist es Michel Houellebecq gelungen mit „Unterwerfung", das Buch, über das man 2015 spricht, auf den Markt zu bringen, das sich mit ganz ähnlicher Thematik befasst, wenn auch anders, nämlich literarisch, einengend, auf den Punkt bringend, vorgeblich nüchtern, provokant. Der Dichter darf alles: Gott sei Dank. Der Denker nicht: Gott sei es geklagt. Denn Thilo Sarrazin und Michel Houellebecq liegen meines Erachtens auf der gleichen Linie. Ob ihre Intentionen dieselben sind, ist jedoch fraglich.

Um das neue Buch des Autors angemessen zu besprechen, werde ich näher auf seinen Inhalt eingehen, so dicht heranzugehen, dass man das Buch nicht mehr selber lesen müsste, ist aber trotz vieler Zitate völlig unmöglich.

Zuerst schafft Houellebecq eine Parallele zwischen seinem Protagonisten François (Nachnamenlos) und Joris-Karl Huysman. Denn wie Huysmans am Ende seines Lebens vom Atheisten zum Katholiken konvertiert, so wird auch F. am Ende des Romans konvertieren, nicht zum Katholizismus, sondern zum Islam, bzw. er wird diese Option so intensiv in Erwägung ziehen, dass man annehmen muss, dass er sie auch leben wird.

• François ist Sprachwissenschaftler, Prof. an der Universität Paris – Sorbonne III, Spezialist für die Literatur des 19. Jahrhunderts und darin wiederum spezialisiert auf Leben und Werk des Literats Joris-Karl Huysman, über das François seine Dissertation schrieb und dessen Erforschung und Durchdringung er bisher sein Leben widmete. Hätte Houellebecq diesen Romancier erfunden, dh. eine erfundene Figur als Forschungsgegenstand François verwandt, hätte ich das noch besser gefunden!

• Dieser Forschungsgegenstand, über den F. reichlich faselt, ist für den Leser unglaublich langweilig, aber wissenserweiternd. Ich weiß über Huysmans jetzt sehr viel mehr als über François selbst (dessen Nachname im Buch nicht vorkommt oder ich habe ihn überlesen), angefangen von Huysmans Lebensdaten bis sozusagen dem letzten Titel seiner Werke. Von Houellebecq ist dies natürlich beabsichtigt. Es ist ein Seitenhieb auf einen bestimmten Typus des Geistenswissenschaftlers.

• Es mag nicht der irrelevantere Huysmans sein, sondern Goethe oder Shakespeare oder sonstige anerkannte deutsche (bzw. französische) Geistesgrößen, dem der Sprachler seine lebenslange Aufmerksamkeit schenkt und ein stilles, aber intensives intellektuelles Vergnügen über Publikationen in der Art von „Empirische Betrachtungen über das Aufkommen der Relativpronomen im Vergleich zu Elementen des attributiven Kontextes in Goethes Gesamtwerk“ empfindet, die, in Fachzeitschriften veröffentlicht, natürlich kein Schwein kennt oder hinter dem Ofen hervorlocken könnten, jedoch in besagten Fachkreisen Euphorie auslösen.

So einer ist François.

Ausserdem ist er als Prof. auf Lebenszeit, der alles erreicht hat und dem nichts mehr genommen werden kann, unendlich gelangweilt, ein blasierter, isolierter Single in der Großstadt Paris, der keine echten Freunde hat, mit denen er reden kann, ... „Gespräche über das Privatleben gehören nicht zu den Themen, die in männlicher Gesellschaft als akzeptabel gelten. Männer sprechen von Politik, Literatur, Finanzmärkten oder Sport, wie es eben ihrer Natur entspricht, kein Wort über ihr Liebesleben und das bis zum letzten Atemzug“; seine Doktoranten sind ihm lästig: „...überhaupt waren die Doktoranden anstrengend, bei ihnen stand ab jetzt einiges auf dem Spiel, bei mir gar nichts mehr.“

Mit Frauen redet er auch nicht, denn François ist beziehungsunfähig und sexistisch. Sein Unterleib, der ihm allein noch ein gewisses Vergnügen am Leben erhält, macht ihm jedoch Probleme, er lebt ungesund: F. raucht, säuft und hurt. In der Uni die üblichen Wichtigtuer und Intrigen.

Zwischenfazit: Houellebecq nimmt den Unibetrieb aufs Korn und das nicht zu knapp.

Währenddessen haben sich die gegenläufigen Kräfte Frankreichs zu einem in der Gesellschaft eingesetzten Rechtsruck zusammengetan und verhelfen dem reichen liberal-islamischen Politiker Mohamed Ben Abbès von der vor kurzem gegründeten Bruderschaft der muslimischen Partei zur Staatspräsidentschaft. Literaturprofessor F., bis dahin nur mäßig politisch interessiert („Ich war politisch wie ein Handtuch“/ eine ungeschickte Übersetzung: ich hätte geschrieben, wie ein nasser Handschuh), verfolgt den Prozeß und macht sich seine Gedanken zum Misserfolg der bisherigen Politprofis:

Es stimmt, dass die Wahlen in meiner Jugend so uninteressant waren, wie man es sich nur denken konnte. Die Dürftigkeit des politischen Angebots war sogar wirklich frappierend. Man wählte einen Mitte-links-Kandidaten, abhängig von seinem Charisma für die Dauer von einem oder zwei Mandaten, ein drittes wurde ihm aus undurchsichtigen Gründen verwehrt. Dann wurde das Volk dieses Kandidaten bzw. der Mitte-links-Regierung überdrüssig – hier ließ sich gut das Phänomen des demokratischen Wechselspiels beobachten – woraufhin die Wähler einen Mitte-rechts-Kandidaten an die Macht brachten, ebenfalls für die Dauer von ein oder zwei Mandaten, je nach Typ.

Seltsamerweise war der Westen überaus stolz auf dieses Wahlsystem, das doch nicht mehr war als die Aufteilung der Macht zwischen zwei rivalisierenden Gangs, nicht selten kam es sogar zu einem Krieg, um dieses System anderen Ländern aufzuzwingen, die diesbezüglich weniger enthusiastisch waren.“

.... Seit dem Vormarsch der Rechtsextremen war die ganze Sache ein wenig spannender geworden".

Zwischenfazit: Houellebecq nimmt den Politikbetrieb aufs Korn und das nicht zu knapp.

Die neue Regierung könnte sein bisher gesichertes Leben durcheinander bringen, befürchtet er und verlässt Paris, da er einen Bürgerkrieg heraufziehen sieht. Als er zurückkommt, hat er seinen Job verloren, doch wird er, wie die anderen nicht muslimischen Dozenten großzügig abgefunden. Gesellschaftliche Veränderungen greifen, das Straßenbild hat sich gewandelt. Das islamische Erziehungsmodell verdrängt das westliche, libertäre, irregeleitete Erziehungsziel und Frauenbild:

„Wer die Kinder unter Kontrolle hat, der hat die Zukunft unter Kontrolle und Schluß. Nach dem Konzept der Bruderschaft muss jedes Kind bis zum Ende seiner Schulzeit in den Genuß einer islamischen Erziehung kommen. Islamischer Unterricht unterscheidet sich in jeder Hinsicht sehr stark von einem laizistischen, er kann beispielsweise unter keinen Umständen gemischtklassig sein; überhaupt sollen nicht alle Schulformen für Mädchen zugänglich sein..... Darüber hinaus müssen die Lehrer muslimisch sein.“

Kleinbetriebe mit familiären Strukturen werden gefördert, Großbetriebe verkümmern, soziale Ausgaben werden gekürzt, die Frauen müssen diese Tätigkeiten (Pflege) kostenfrei zu Hause übernehmen. Frauen kann man dazu abrichten. Sie arbeiten gern, denn sie sind wie (Arbeits-)Tiere. Auch zur gewünschten (gelenkten) Liebe kann man sie abrichten, sie sind nicht wählerisch. Der Mann dagegen ist unerziehbar in seinem Egoismus (hat er nicht unrecht).

An der Uni übernimmt Rediger, ein mittelmäßiger, aber früh konvertierter Dozent die Direktion und löst Chantal Delouze ab. Die Studentinnen sind verhüllt, Dozentinnen gibt es nicht mehr. In die EU werden mehr und mehr islamische Staaten aufgenommen, die Außenpolitik wird judenfeindlich. Mit Israel sei es schwierig, meint Rediger im Gespräch mit François. Wenn er konvertiere, lässt er durchblicken, sei die Uni sehr interessiert an seiner Wiedereinstellung. Mit einem weitaus höheren Gehalt als früher, selbstredend. Die Uni wird von den Saudis, äh, unterstützt.

Über die Güterverteilung urteilt der jetzt in großzügigem Jugendstilwohngebäude residierende Rediger (zugeteilt von der Regierung plus horrendes Gehalt) folgendermaßen:

„.... Auch wenn Armut im eigentlichen Sinne aus einer authentischen muslimi-schen Gesellschaft verbannt werden müsse ... , solle diese dennoch einen be-trächtlichen Abstand zwischen der in akzeptabler Armut lebenden überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung und einer verschwindend kleinen Anzahl von Personen bewahren, die so außerordentlich reich seien, dass sie sich übertriebene und verrückte Ausgaben leisten könnten und damit den Fortbestand des Luxus und der Künste gewährleisteten“.

Rediger lebt in Vielehe, er hat eine 15 jährige fürs Bett, eine 40jährige für die Küche und einige Damen im Alter dazwischen für alles. Frauen seien wie Kinder zu behandeln, von wirtschaftlicher Verantwortung für die Familie freizustellen, darin läge ihre eigentliche Freiheit. Die Vielehe (der Reichen) sei auch ein Evolutionsprinzip. So vermehren sich die Erfolgreichen, die anderen (Unfähigen) gehen leer aus. Das habe ich auch von Sarrazin so gehört, bloß umgekehrt.

Die Unterwerfung der Frau unter den Mann sei so gottgewollt und natürlich wie das Atmen und wie die Unterwerfung des Menschen unter Allah. Die Vorteile des Patriarchats liegen auf der Hand, auch für François, für den das ideale Frauenbild sich schon vorher auf „Kochtopf und Dirne“ reduzierte und so steuert er auf die Wiedergewinnung seines alten Lebens unter anderen Vorzeichen zu.

Zwischenfazit: Houellebecq nimmt den Islam aufs Korn und das nicht zu knapp.

Dazwischen hat sich François (und damit Houellebecq) ebenfalls noch mit der Wertegesellschaft an sich, mit dem Scheitern des Humanismus und mit einem Vergleich zum Kommunismus beschäftigt, hat reichlich Seitenhiebe auf das Christentum und den reinen Materialismus verteilt und mit dem Atheismus abgerechnet. Und das alles auf 270 Seiten.

Das Ärgerliche an dem neuen Michel Houellebecq und zugleich das Raffinierte, ist, dass der Autor die Deutungshoheit seines Romans der Leserschaft überlässt. Ist „Unterwerfung“ eine Politsatire, eine maßlose Übertreibung, eine Abrechnung, eine Warnung? Hat seine Geschichte wirklich etwas mit dem Islam zu tun?

Wirft man einen Blick nach Saudi-Arabien oder sonstige Staaten, in denen nach der Scharia gelebt wird und nach anderen strengen moslemischen Ansichten, kann nicht geleugnet werden, dass die Stellung der Frau im Islam nicht mit westlichen Einstellungen zur Selbstbestimmung und den Menschenrechten übereinstimmen. Dennoch ist der Roman natürlich eine Überspitzung. Vielleicht braucht der Westen eine solche?

Unterwerfung“ besticht nicht durch sprachlichen Zauber, der Autor beherrscht jedoch sein Handwerk, da gibt es nichts auszusetzen. Houellebecqs Stil ist vollkommen nüchtern und wenngleich geistreich, fehlt mir Leidenschaft und Fülle. Sein Verdienst ist die geniale Konstruktion des Doppel-Ichs Huysman/François und vor allem die Provokation. Man muss die Inhalte des Islam und was er für die Frauen bedeuten kann, diskutieren können, ohne dass die Disputanten grundsätzlich als politically incorrect diffamiert werden. Denn was sauer aufstößt, ist der Romantitel  „Unterwerfung“, welcher Unfreiwilligkeit, mithin Zwang, impliziert. Doch kritisiert der Autor, ausgehend von seiner Vision eines islamischen Frankreichs, die ganze Gesellschaft.

Gefallen oder nicht gefallen ist hier deshalb nicht die Frage.

Fazit: Houellebeqs „Unterwerfung“ ist in diesem Jahr der Roman, von dem man spricht. Sehr zurecht. Das allein rechtfertigt schon fünf Punkte.

Kategorie: Moderne Literatur
Verlag: Dumont, 2015