Rezension

Der Traum vom Fliegen

Fräulein Hedy träumt vom Fliegen - Andreas Izquierdo

Fräulein Hedy träumt vom Fliegen
von Andreas Izquierdo

Bewertet mit 5 Sternen

Die im Münsterland lebende Hedy von Pyritz ist 88 Jahre alt, aber noch lange nicht klapprig, verknöchert oder senil, sondern weiterhin neugierig auf die Welt und bereit für jedes Abenteuer, auch wenn sie in einem Rollstuhl sitzt. Deshalb schaltet sie auch eine Anzeige, in der sie einen Begleiter für den Besuch eines Nacktbadestrands sucht, was nicht nur in der Stiftung für Unruhe sorgt, deren Vorsitz sie innehält. Da die eingehenden Antworten auf ihre Suche nicht dem entsprechen, was sie sucht, hat Hedy sich kurzerhand ihren recht zurückhaltenden jungen Physiotherapeuten Jan auserkoren, sie zu diesem Strand zu fahren. Doch Jan hat ersten keinen Führerschein, noch kann er gut lesen aufgrund einer Schreibschwäche. Aber Hedy ist das völlig egal, sie ist schon viel zu lange auf der Welt, um sich Steine in den Weg legen zu lassen. Sie kürt Jan zum besonderen Stipendiaten ihrer eigenen Stiftung und lässt ihm jegliche Unterstützung zukommen, damit er sein Manko ausgleichen kann. Dabei lernen beide viel voneinander…

Andreas Izquierdo hat mit seinem Buch „Fräulein Hedy träumt vom Fliegen“ einen wunderschönen, gefühlvollen und unterhaltsamen Roman vorgelegt, den der Leser – einmal begonnen – kaum aus der Hand legen kann. Der Schreibstil ist flüssig, warmherzig und so lebendig mit einem kleinen Augenzwinkern, er zieht den Leser regelrecht in die Handlung hinein und lässt diesen nicht mehr los, bis die letzten Zeilen gelesen sind. Durch die recht schräge Handlung, die skurrilen Protagonisten und die immer wiederkehrenden Ausflüge in Hedys Vergangenheit bleibt die Geschichte lebendig und lässt während der Lektüre ein wahres Kopfkino entstehen. Gleichzeitig kann der Leser beobachten, wie sich nicht nur durch das Alter, sondern auch vom Lebensstil her völlig verschiedene Charaktere immer mehr öffnen und in eine enge Beziehung miteinander eintreten, aus dem jeder von ihnen Erfahrungen zieht und sich persönlich weiterentwickelt. Gerade diese Beobachtungen gehen dem Leser ans Herz und machen die Geschichte so besonders. Das Thema „Fliegen“ hat in diesem Roman mit Sicherheit nicht nur eine Bedeutung!

Die Protagonisten sind so liebevoll ausgestaltet und mit Persönlichkeit versehen worden, der Leser kann gar nicht anders, als mit ihnen zu leiden, zu jubeln, zu weinen und den Atem anzuhalten. Sie wirken so echt und aus dem Leben gegriffen, dass man ständig das Gefühl hat, einen von ihnen zu kennen. Hedy ist eine außergewöhnliche und nicht zu ignorierende Person. Sie besitzt ein gesundes Selbstbewusstsein, wirkt oftmals recht autoritär und ist sehr diszipliniert. Hedy sagt, was sie denkt und oftmals beharrt sie fest auf ihrem Standpunkt, bis man ihr beweist, dass er falsch ist. Sie ist eine starke Frau, die manch einem wohl auch Angst einflößen könnte, wenn man nicht wüsste, dass sie unter ihrer rauen Schale ein großes Herz besitzt. Jan ist ein eher schüchterner und introvertierter junger Mann, der nicht nur unter seiner Lese- und Schreibschwäche leidet, sondern auch unter seinem älteren Bruder Nick, zu dem er immer aufgeschaut hat und der selbst doch nur immer wieder in Schwierigkeiten gerät. Mutig ist nicht gerade das Attribut, was man bei Jan denken würde, doch so nach und nach kann man als Leser nur staunen, wie er durch die Freundschaft zu Hedy immer mehr aus sich herauswächst und zu Entscheidungen fähig ist, die man zu Beginn nicht für möglich gehalten hätte. Auch die anderen Protagonisten wie Hedys Tochter Hannah, Nick oder auch die Haushälterin Maria haben einen festen Platz in der Geschichte und geben ihr zusätzliche Impulse.

„Fräulein Hedy träumt vom Fliegen“ ist kein modernes Märchen, sondern eine Geschichte, die durch ihre besondere Erzählweise mitten ins Herz des Lesers geht. Es geht um Träume, um Verlust, um Schicksale und löst beim Leser eine regelrechte Achterbahn der Gefühle aus. Ein außergewöhnliches Buch, das man so schnell nicht mehr vergisst und bestimmt immer wieder zur Hand nimmt. Absolute Leseempfehlung für einen Roman, der von der ersten bis zur letzten Zeile fesselt. Hier wurde wirklich alles richtig gemacht- Chapeau für ein Kleinod!!!