Rezension

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Der Traum vom Fliegen - großartiger Familienroman mit geschichtlichem Hintergrund

Unsere Hälfte des Himmels - Clarissa Linden

Unsere Hälfte des Himmels
von Clarissa Linden

Bewertet mit 5 Sternen

Ein großer Schicksals-Roman über 2 Frauen und ihren Traum vom Fliegen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und über eine dramatische Mutter-Tochter-Beziehung. Frankfurt in den 30er Jahren: Johanna und Amelie sind dicke Freundinnen, die eine gemeinsame Sehnsucht verbindet: Sie wollen Pilotinnen werden und den Himmel erobern. Doch dieser Traum scheint im Deutschland der Nazi-Zeit unmöglich zu sein. Trotzdem halten beide zunächst an ihm fest – bis Amelie sich in Johannas Fluglehrer verliebt. Ein folgenschwerer Verrat trennt die beiden Freundinnen schließlich für immer. Kassel in den 70er Jahren: Amelies Tochter Lieselotte, die zu ihrer Mutter stets eine sehr distanzierte Beziehung hatte, wird plötzlich mit deren aufregender Vergangenheit konfrontiert. Allmählich lernt sie eine Amelie kennen, die sie hinter der kühlen Fassade niemals vermutet hätte – und ihr wird klar, dass diese Erkenntnis ihr eigenes Leben verändern wird. Historisch fundiert, dramatisch und mitreißend: Ein Roman über ungelebte Träume, Frauen-Freundschaft und die erste Beziehung im Leben einer Frau – die zu ihrer Mutter

Die Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Da ist Amelie, die im Jahr 1935 in Frankfurt lebt, ebenso wie ihre Freundin Johanna. Beide verbindet die Leidenschaft zum Segelfliegen und ihr Traum, Pilotinnen zu werden. Mitte der Dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts und dann noch in einer Zeit, die sich später als eine der dunkelsten der Geschichte Deutschlands darstellt. Die Fliegerei spielt in diesem Buch eine wichtige Rolle. Wer sich für die Faszination des Fliegens begeistert, erfährt sehr viel geschichtlichen Hintergrund. Aber auch der andere Leser wird durch die gründlichen Recherchen der Autorin zu diesem Thema informiert. Und so versteht sie es immer wieder, den Leser in ihre Geschichte zu ziehen.
Kassel 1971: Ameliese Tochter Lieselotte erhält einen Anruf, dass ihre Mutter nach einem Unfall im Krankenhaus in Koma liegt. Seit einigen Jahre ist sie mit Eduard verheiratet. Er geht arbeiten, sie ist daheim. Eine normale Ehe, wie halt damals üblich. Denn arbeiten gehen konnte Lieselotte nur mit Erlaubnis ihres Mannes. Da stellt sich dann schnell Einsamkeit ein, denn was bot ihr das Leben …
Ja, so war damals die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau.

Mutter und Tochter haben kein besonderes Verhältnis zueinander. Im Prinzip ist Lieselotte von der Oma großgezogen worden. Amelie stellt sich anfangs als sehr hartherzig dar. Auf Nachfrage wer denn ihr Vater sei, erfährt sie nur, dass er im Krieg gefallen sei.
"Du kannst das Kind nicht dafür bestrafen, was geschehen ist", hatte Oma Luise gesagt.
 (Zitat S. 50)"

Clarissa Linden verarbeitet Themen aus der Frauenbewegung als auch aus der Zeit des Nationalsozialismus in ihren Büchern. "Ich warte auf dich, jeden Tag" ist der erste Roman in dieser Richtung.
Der Fokus in ihrem neuesten Werk liegt besonders auf die Beziehung zwischen Mutter und Tochter, ein Generationsproblem. Ganz eindeutig zu spüren, es fehlt die mütterliche Wärme.
"Eine Frau muss hart sein, wenn sie überleben will. (Zitat S. 50)"

Die Geschichte ist gut und flüssig aufgebaut, wobei jedes Kapitel auf Ort und Jahr hinweist. Sehr schön fand ich bei einigen Kapiteln die Zitate wie z. B.
Kapitel 15 "Ich bin erst glücklich, wenn ich fliegen kann". Hilda Hewlett
(S. 161)
oder
Kapitel 38 "Wenn andere fliegen können, warum dann nicht ich?" Katherine Stinson
(S. 387)

Nachwort und Hintergrund zum Buch enthalten sehr ausführliche Listen. Dass die Frauen im damaligen Deutschland gegen Vorurteile ankämpfen mussten, sie im Prinzip auch keine berufliche Perspektiven in der Fliegerei hatten, das hat sich erst im Jahr 1988 geändert. Ein langer Zeitraum zur Gleichberechtigung.

"Unsere Hälfte des Himmels" von Clarissa Linden hat mich fasziniert. Die einzelnen Geschichten ergeben eine berührende als auch spannende Story. Der Leser erfährt, warum Amelie unfähig war ihre Tochter Lieselotte zu lieben. Es muss unerträglich für ein Kind sein, sich nicht geliebt zu fühlen. Die Autorin schafft es, das Gefühlsleben der Protagonisten zu beschreiben und nahe zu bringen.
Das Buch ist sehr gut geschrieben, spannend, interessante Themen mit geschichtlich fundiertem Hintergrund. Bedingt durch die Schrecken des II. Weltkriegs könnte man auch sagen, es ist ein bisschen ein Buch "gegen das Vergessen". Ein Roman mit Wiedererkennungswert!
Ein ausdruckssstarkes Cover rundet das Ganze ab.
Oh, fast hätte ich es vergessen: natürlich spielt auch in diesem Buch eine Katze eine Nebenrolle ♥ Cat Ballou ♥
Mein Lesetipp für diese außergewöhnliche Familiengeschichte.