Rezension

Der Traum von der Selbstbestimmtheit

Die Chroniken der Verbliebenen - Der Kuss der Lüge - Mary E. Pearson

Die Chroniken der Verbliebenen - Der Kuss der Lüge
von Mary E. Pearson

Bewertet mit 3 Sternen

Was ist das nur mit mir und diesen jugendlichen Fantasyromanen? Die Geschichten sind meistens nicht sehr innovativ, die Handlung relativ vorhersehbar und doch lege ich die Romane immer äußerst ungern zur Seite und schwelge, ja fiebere regelrecht mit den zumeist weiblichen Hauptfiguren mit. Die Chroniken der Verbliebenen ist eine neue Reihe, die auf altbewährtes setzt: man nehme eine starke weibliche Persönlichkeit, die von der wahren aufrechten Liebe träumt, in eine privilegierten Stellung hineingeboren wurde und der inneren Stimme folgend, einem Geheimnis um ihre eigene Person auf die Spur kommt. Ganz wichtig ist dabei ein aufregender, interessanter Mann in ihrem Umfeld, oder besser sogar zwei. Gute Freunde dürfen nicht fehlen, die mit ihr jede Klippe umschiffen und sie als Person auch immer mal wieder spiegeln. Und dann natürlich unvermeidlich die große unaufhaltsame Gefahr von außen. Ein Schicksal, dem es sich zu widersetzen gilt und der eine Entwicklung für eigene Persönlichkeit beinhaltet. Also, es ist doch allerhand nötig, um diese Art der Geschichten zu stricken und ich lese sie fast alle gern. Mein eigener Alltag hat wenig mit Abenteuer, Gefahr, romantischer Liebe und Bestimmung zu tun. Wer würde sich da nicht auch ab und zu in solche Geschichten wegträumen wollen?

Lia ist für ihre Zeit, irgendwo in einer Art Mittelalter der fernen fiktiven Fantasygalaxien, eine recht selbstbewusste und taffe Hochwohlgeborene, die zum Wohle des Reiches nicht über ihren Schatten springen kann und vor der verhandelten Hochzeit mit einem unbekannten Prinzenbräutigam in ein einfaches, scheinbar selbstbestimmtes Leben als Schankmädchen flüchtet. Doch verschmähter Prinz als auch ein angeheuerter Meuchelmörder finden sie schnell, als auch Gefallen an ihr. Und es kommt so wie es kommen muss...Mit viel Gutwillen könnte ich den Roman als Adoleszenzgeschichte bezeichnen. Lia ist ein rebellischer Teenager, vor allem mit sich und den Träumen von ihrer Zukunft beschäftigt. Ihr Innenleben wir mir durch sie als Ich-Erzählerin völlig offen gelegt und ich fühle mich schnell ein. Geschickt erweitert Mary E. Pearson ihren Roman um zwei weitere Erzähler – es sind die beiden jugendlichen Männer, der eine, den Lia nicht ungesehen heiraten wollte und der andere, der den Auftrag erhielt, sie zu töten. Dieses erzählende Pingpong zwischen weiblicher und männlicher Sicht gefällt mir gut und macht den Reiz des Buches aus. Natürlich leider sehr stark auf der emotionalen amourösen Ebene, und auf diese springt klar das romantische kleine Mädchen in mir an. Das Märchen von der Prinzessin und ihren Prinzen. Die Hoffnung auf ein Happy End.

Etwas aus der Masse der Heldinnenbücher für junge und junggebliebene Mädchen hebt sich der Kuss der Lüge auch ab, weil hier viel Energie in ein überzeugendes Setting verwendet wurde. Geschichten und eigens erfundene Sprache für das fremde feindliche Reich, welches nach der Macht über die bekannte Welt strebt. Figuren, die zwar stereotypisch aufgestellt sind, aber dennoch überzeugend die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens verkörpern. Das Entdecken, das einzig die erlernte Sichtweise darüber entscheidet, ob der Tod eines Soldaten gerecht oder ungerecht erscheint, je nachdem auf welcher Seite er steht.

Vielleicht mag ich diese Art der Geschichten auch einfach so sehr, weil in ihr von unserer Welt so wenig darin vorkommt. Die größte Heldentat in unserer Zeit ist Bio einzukaufen, achtsam zu konsumieren und immer erreichbar zu sein.