Rezension

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Die Fragilität des Vertrauens

Augustas Garten - Andrea Heuser

Augustas Garten
von Andrea Heuser

Bewertet mit 5 Sternen

An ihrem Geburtstag läuft die sechsjährige Augusta davon. Nicht von ihrem Zuhause, denn dieses hatte sie mit ihrer Mutter Barbara schon lange zuvor verlassen, nein, sie entflieht ihrem neuen Leben, das sie und Barbara seitdem mit Mamas neuem Freund Eduard teilen. Warum sie das vertraute Heim und ihren Papa verlassen mussten, dass möchte Barbara ihrer Tochter nicht aufbürden, doch ihr vertröstendes „bald“ auf Augustas Frage, wann sie endlich zurückkehren würden, wendet sich an diesem schicksalhaften Morgen gegen sie, als Augusta zu begreifen beginnt, dass es kein Zurück geben wird. Während die Polizei das kleine, um seine Hoffnungen beraubte Mädchen sucht, reflektiert Barbara angstvoll ihre Vergangenheit und wühlt sich durch einen Berg an Erinnerungen, welche erschreckende Parallelen zu ihrem Verhältnis zu Augusta offen legen. 

Auf den ersten Blick verarbeitet der poetisch- zarte Debütroman von Andrea Heuser das sensible Thema der Trennung eines Ehepaares mit Kind. Auf einzigartige Weise gelingt es Andrea Heuser hierbei, gleichsam Barbaras Sorgen und Beweggründe darzulegen und sich in Augusta hineinzufühlen, die damit umzugehen versucht, nicht mehr mit beiden Elternteilen gemeinsam leben zu können, ohne den wahren Grund dafür zu kennen. Nachdenkliche,  vielschichtige Überlegungen zu essenziellen Be- und Erziehungsfragen verbinden sich mit einer beklemmend- kindlichen, reinen Sicht auf die Welt zu einem ausgewogenen Gesamtbild. Wie viel Wahrheit verträgt ein sechsjähriges Kind wie Augusta? Darf Barbara lügen, weil sie glaubt, es sei zum Wohl des Mädchens? Die fragile Mutter- Tochter- Beziehung droht an Barbaras Unehrlichkeit zu zerbrechen, obgleich diese nicht mehr im Sinne hat, als Augusta fern zu halten von dem Konflikt der Eltern. Was aus ihrer Sicht ein Versuch ist, ihren eigenen Unmut nicht auf das kleine Mädchen zu projizieren, lässt Augusta das Urvertrauen in ihre einzige Bezugsperson verlieren. „Die Mama hat gelogen, die Mama darf nicht lügen… Weil, wenn die Mama lügt, was stimmt denn dann noch?“ (S. 37) Die Sehnsucht nach dem Vater obsiegt und mit nichts mehr als ihrem Schal und dem kleinen Rucksack, den Augusta mit einem Stück Toast und dem Sparfrosch füllt, macht sich die Kleine auf den Weg ins Ungewisse.

Auf den zweiten Blick jedoch birgt der Roman auch eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den Folgen des zweiten Weltkrieges in sich. Der Leser erfährt durch Barbaras Erinnerungen, wie der Krieg nicht nur ihre Eltern, sondern auch die ihres Mannes verändert hat und Einfluss nahm auf das familiäre Miteinander. Nahezu unbemerkt werden einst kritisierte Umgangsformen auf die eigene Erziehung übertragen, werden Verhaltensweisen geprägt und übernommen und so wiederholen sich auf fatale Weise die Ereignisse. Möchte man sich zu Beginn des Romans vielleicht noch auf Barbaras Seite schlagen und ihren Umgang mit Augusta rechtfertigen, so lernt man alsbald, die Reibungspunkte zwischen Andreas und Barbara in ihrem Entstehen nachvollziehen zu können und sieht etwas Übereiltes in dem einst gemeinsamen Lebensweg des ungleichen Paares, das glaubte, sein Verlangen nach Heimat und Geborgenheit in der Ehe stillen zu können. Zuletzt wünscht sich nichts mehr, als die kleine Augusta in den Arm zu nehmen und ihr sanft ins Ohr zu wispern, dass alles wieder gut werden wird.

Augustas Garten ist ein wundervolles Buch für all jene, die sich nicht davor scheuen, in den Abgrund innerfamiliärer Beziehungsgeflechte zu blicken und der kleinen Augusta auf ihrem verzweifelten Weg nach Vertrauen und Ehrlichkeit folgen mögen. Von mir erhält der fulminante Debütroman eine klare Leseempfehlung und lässt auf weitere Werke hoffen. 

Ich bedanke mich herzlichst beim Dumont- Verlag und Andrea Heuser für das Bereitstellen des Leseexemplares.