Rezension

"Die ganze Welt ist eine Bühne ..."

Timmy Quinn: Der Schildkrötenjunge & Die Häute - Kealan Patrick Burke

Timmy Quinn: Der Schildkrötenjunge & Die Häute
von Kealan Patrick Burke

Bewertet mit 5 Sternen

• Der Schildkrötenjunge
Delaware, Ohio 1979: Es sind Sommerferien und der elfjährige Timmy Quinn verbringt die heißen Tage gemeinsam mit seinem besten Freund Pete. Als sie beschließen zum nahegelegenen Myers-Teich zu gehen und dort dem seltsamen Jungen Darryl begegnen, gerät die heile Welt der Jungs aus dem Gleichgewicht. Darryl spricht kaum und verhält sich merkwürdig, er füttert die Schildkröten im Teich auf höchst beunruhigende Weise. Als die Jungen ihren Vätern davon berichten, setzen sie eine Kette von unheilvollen Ereignissen in Gang, die einen brutalen Schlussstrich unter Timmys bisher sorgloses Leben setzen.

• Die Häute
Sieben Jahre später hat sich vieles für Timmy verändert. Er steht an der Schwelle zum Erwachsensein, die Ehe seiner Eltern ist zerrüttet und die Ereignisse der Vergangenheit haben tiefe Narben hinterlassen. Als sein Vater beschließt, zurück in seine Heimat Irland zu reisen, um seiner Mutter, die den Tod ihres Mannes verkraften muss, unter die Arme zu greifen, schließt sich Timmy ihm an. So will er nicht nur seinen Vater mental unterstützen, sondern auch entscheiden, wie es in seinem Leben weitergehen soll. Timmy hofft, die Geister der Vergangenheit begraben zu können und neu zu beginnen. Doch in Dungarvan, einer kleinen Hafenstadt an der Südküste Irlands, holt sie ihn von Neuem ein und dieses Mal muss er sich ihr bewusst entgegenstellen, um die Menschen zu schützen, die er liebt.

Leseeindruck

Mit der "Timmy Quinn"-Novellenserie, die insgesamt fünf aufeinander aufbauende Geschichten umfasst, hat Kealan Patrick Burke nicht nur einen unglaublich sympathischen und authentischen Protagonist geschaffen, sondern auch wunderbare Horrorliteratur. "Der Schildkrötenjunge" (OT: The Turtle Boy) gewann 2004 den Bram Stoker Award als beste Novelle des Jahres und das zu Recht. Von der ersten Seite an weiß Burke den Leser zu fesseln. Tief taucht man direkt in die Gedanken- und Gefühlswelt des jungen Timmys ein, erlebt mit ihm den heißen Sommer 1979 in Ohio. Zunächst schafft der Autor eine Wohlfühlatmosphäre mit leisen und intensiven Tönen. Der bildhafte, einprägsame Schreibstil trägt den Leser leicht durch die Geschichte und doch fühlt man bereits das drohende Unheil nahen. Ohne übertriebene Hast aber auch ohne Umschweife kommt Burke zum Punkt und schockiert den Leser mit dem für ihn so typischen unterschwelligen Horror. Es bedarf keines Splatters, um dem Leser das Fürchten zu lehren, was nicht heißt, dass es nicht stellenweise brutal zugeht. Es sind schwierige und allgegenwärtige Themen, die der Story zugrunde liegen, ihr Tiefe und Nachdruck verleihen. Häusliche Gewalt an Kindern ist und bleibt leider aktuell und bildet hier neben dem Mysteriösen und den Geistern auf ganz eigene Weise den Kern des Horrors. Der zu Beginn der Erzählung noch unschuldige Timmy wird im Laufe der Geschichte nicht nur mit Tod und Verlust konfrontiert, sondern muss auch erkennen, dass er selbst eine besondere Gabe besitzt, die ihn dazu befähigt, die Toten sehen, hören und riechen zu können.

Wie er mit all dem fertig wird und ob es ihm überhaupt gelingen kann, das beschreibt Burke in der zweiten Novelle "Die Häute" (OT: The Hides). Diese Geschichte hat von Anfang an einen dunkleren Ton, es gibt keine Komfortzone für den Leser, denn genau wie auf Timmy selbst, lasten die Ereignisse der Vergangenheit schwer auf dem Leser. Das Setting wechselt vom sonnigen Ohio in das rauere Irland, was mir sehr gut gefallen hat, zumal der Autor selbst in Dungarvan geboren und aufgewachsen ist. Der real existierende Schauplatz mit einer persönlichen Verbindung zum Autor, die man meiner Meinung nach durchaus auch herauslesen kann, verleiht der Geschichte ein ganz besonderes Flair. Die Lederfabrik, in der Timmys Vater seine neue Arbeit antritt und in der sich ein neues Grauen manifestiert ist der ideale Schauplatz für die Geschichte. Aber auch das alte Haus der Großmutter und das ungestüme Meer bilden ein rundum perfektes, klassisches Gruselsetting. Burke setzt auf solide und traditionelle Elemente des Horrors und lässt so zum Beispiel Spiegel zerspringen oder einen Toten in der Schlinge baumeln und genau das ist es, was mir so richtig gut gefallen hat. Eine konstane Gänsehaut und aufgestellte Nackenhaare sind nun einmal wünschenswert, wenn man dieses Genre gern liest. Aber auch die durchweg hohe Spannung und Intensität, der tolle Schreibstil sowie die ausgereiften Figuren machen dieses Buch zu einem wahren Lesegenuss.

"Eine Stimme, die vielleicht nur der Wind war.
Ein Flüstern, das vielleicht nur von den Bäumen stammte.
Und ein Gesicht, das grinsend über seine rechte Schulter starrte."

Ich persönlich freue mich auf die weiteren Bände dieser Serie und generell auf weitere Bücher des Autors. Bisher las ich bereits "Herr der Moore", "KIN" und "Seelenhandel" und keines dieser Bücher hat mich enttäuscht. Mit den ersten beiden Timmy Quinn-Novellen hat er mich jedoch bis jetzt am meisten begeistern können und das obwohl ich generell eher dem Roman als der Novelle oder Kurzgeschichte den Vorzug gebe.

Eins noch: Alle die, die Danksagungen, Anmerkungen des Autors, Vorwörter oder Einleitungen bei der Lektüre gern überspringen, sei angeraten dies hier nicht zu tun. Die Einleitung, von Norman Partridge verfasst, ist absolut lesenswert und sehr interessant.

Fazit

Die Liebhaber des klassischen und eingängigen Horrors werden hier voll auf ihre Kosten kommen. Ein vortrefflicher und flüssiger Schreibstil; toll ausgebaute, vielschichtige Charaktere (allen voran unser Protagonist) und ein durchweg hohes Spannungslevel sorgen für ein rundum perfektes Leseerlebnis.
"Die ganze Welt ist eine Bühne, Timmy Quinn, aber sie ist nicht die einzige Bühne ..."
Begleiten Sie Timmy hinter den Vorhang aber seien Sie gewarnt vor dem, was sie dort erwartet.