Rezension

Die Geschichte eines ver-rückten Orchideenforschers in betörend schöner Sprache

Orchis - Verena Stauffer

Orchis
von Verena Stauffer

Bewertet mit 5 Sternen

Dieses Buch hat mich ganz und gar verzaubert, aber ich bin mir darüber im Klaren, dass es nicht jedem gefallen wird. Die Sprache ist poetisch wie ein Gedicht und man merkt, dass die Autorin mit Lyrik zu tun hat. Die Handlung scheint mir dem gegenüber untergeordnet. Der Roman besticht von Anfang an durch eine bildgewaltige, überbordende, opulente Sprache, so überreich wie die Natur in Madagaskar, wo die Geschichte beginnt.

"Der Himmel zerfloss mit dem Meer in das leuchtende Grau einer Wolke …" (34)

"Regen. Gleichmäßig und flächendeckend rieselten Millionen gläserner Fallschirme vom Himmel zur Erde, Wolkentröpfchen, …" (45)

Dabei ist die Handlung fast eine Abenteuergeschichte: Ein junger Botaniker geht Mitte des 19. Jahrhunderts – zu Lebzeiten Darwins – in Madagaskar an Land, um eine seltene Orchidee zu finden: den 'Stern von Madagaskar'. Er wirkt von Anfang exaltiert und besessen, kennt wenig Angst und hat nur seine 'Königin der Blumen' im Kopf, seine 'Braut', wie er sie später nennt. 

Anselm, der junge Botaniker, ist nicht nur der seltenen Orchidee verfallen, sondern fühlt sich auch von einem jungen Mann stark angezogen, der in Zwangsdiensten der grausamen Königin von Madagaskar steht und ihn und einen Kollegen durchs Lands führt. Allerdings scheint Anselm sich über die Natur dieser Gefühle nicht im Klaren zu sein und auch der Leser gewinnt kein eindeutiges Bild.

Umso schlimmer ist der Abschied und der Verlust seiner Orchideen. Seine ohnehin labile psychische Verfassung schlägt in Wahnvorstellungen um, die ihm vorgaukeln, eine Orchidee wachse aus seiner Schulter. Seinen Eltern bleibt nichts anderes übrig, als ihn in einer Nervenheilanstalt unterbringen zu lassen. Nach der Entlassung wendet er sich wieder seiner beruflichen Laufbahn zu. 

Ein zweites Abenteuer folgt, eine überstürzte Reise nach China, auch dieser Teil weniger von der Handlung dominiert als viel mehr von Gedanken zum Leben, zum Wünschen, zum Ankommen und poetischen Schilderungen der Schiffsreisen und der Natur, die er später in den chinesischen Bergen vorfindet.

Hier findet auch in ihm eine Art von Wandlung statt; er gewinnt die Erkenntnis, wie 'kleinteilig' die Streitereien sind, in die ja auch er früher verwickelt war und was für ihn wirklich wichtig ist.

"Anselm verstand plötzlich den Antrieb der Menschen nicht mehr, ihre Berufskollegen ausstechen zu wollen. Es war ihm, als fielen Steine von seinen Schultern." (237)

Ein wundervolles Buch, zu empfehlen für alle, die gerne in Sprache schwelgen, eines, das aber auch durch seine Themen zum Nachdenken anregt und noch lange nachklingt.

Kommentare

Federfee ergänzte am 27. März 2018 um 15:33

Da ich meine Rezi nicht mehr ändern kann, hier noch eine kleine Ergänzung:

Wie konnte ich das nur vergessen! Die liebevolle Gestaltung muss unbedingt erwähnt werden. Das können nur welche kreiert haben, denen das Buch auch so gut gefallen hat wie mir.
Der Cover-Schutzumschlag ist eine Augenweide: quasi eine vergrößerte Briefmarke mit Orchideen in kräftigen Farben. Macht man ihn ab, so ist auch das Hardcover farbig gestaltet, moderner. Sieht man genau hin, sind es wohl chinesische Schriftzeichen. Die findet man auch im Innenumschlag und eines vorne, unauffällig platziert. Was ich mir auch sehr genau angesehen habe: neben jeder Kapitelüberschrift ein winziges stilisiertes Blümchen. Alles einfach nur schön.