Rezension

Die Hoffnung bleibt

Sehnsucht auf blauem Papier - Julia Fischer

Sehnsucht auf blauem Papier
von Julia Fischer

Bewertet mit 4 Sternen

Heilpraktikerin Millicent kann auf zwanzig Jahre platonische Liebe zu Paul zurückblicken, als dessen Frau Emmi stirbt. Ein Unfall und eine Katastrophe für Paul, der quasi mit aus dem Leben fällt. Milli will ihm Halt geben und schreibt Paul an jedem einzelnen Tag des Trauerjahres einen Brief, ohne Antwort zu erwarten. Paul zieht sich zurück, schließt seine Arztpraxis, meidet menschlichen Kontakt, wird immer mehr zum Eigenbrötler. Milli beobachtet und rät. Ich gebe zu, dafür habe ich sie bewundert - dieses Durchhaltevermögen. Keine Reaktion von Paul könnte ja auch bedeuten, dass ihre Briefe direkt im Altpapier landen. Trotzdem gibt Milli nicht auf, schreibt täglich, selbst als ihre eigene Lebenssituation sich ändert. Die starken Gefühle in diesem Buch haben mich wirklich beeindruckt. Pauls Trauer um Emmi ist so massiv, dass mir die Tränen kamen. Was hat er nicht alles verloren! Emmis Lachen, ihre Wärme, die vielen kleinen liebevollen Gesten, die unseren Alltag zu  zweit lebenswert machen. Würde es mich nicht auch an den Rand des Wahnsinns treiben, dies alles von heute auf morgen zu verlieren? Auch Millis Verhältnis zu Marie ist geprägt von Liebe. Klara und Fritz als Nebenfiguren leben den Gegenpart zu Pauls und Emmis verlorenem Glück. Ihre Ehe ist kurz davor, an Langeweile zu sterben, auch wenn das Ganze auf einem Missverständnis beruht. Pauls Vater, das Herrschen gewohnt, lebt dement im Heim vor sich hin. Und doch gibt es auch da Momente des Glücks, wie Vater und Sohn sie früher kaum gemeinsam erlebten. Diese fremden Schicksale nehmen uns mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt, bei der ich froh war, dass es nur ein Buch ist, und nicht mein Leben. Aber genauso ist das Leben, darum berührt dieses moderne Märchen so sehr.

Märchen? Ja, denn Milli glaubt an Wunder und vollbringt sie selbst. Als Leser sollte man bereit sein, sich auf die esoterische Ebene einzulassen. Milli sieht Auren, heilt durch Handauflegen, arbeitet mit Reiki und Bachblüten. Natürlich und glücklicherweise sind nicht alle 365 Briefe Millis im Buch abgedruckt. Diese sind, im Gegensatz zum Rest des Buches, voller gedanklicher Schnörkel, die mir manchmal etwas zuviel des Guten waren. Da haben mich die gedanklichen Bestandsaufnahmen von Paul oder Klara schon eher angesprochen. Schön auch der Wechsel der Jahreszeiten und irgendwie passend zu Pauls Situation.

Fazit: Alles in allem ein Buch, das Mut macht, denn das Leben geht weiter. 4****