Rezension

Die kleine Schwester von Amelie

Die erstaunliche Wirkung von Glück - Susann Rehlein

Die erstaunliche Wirkung von Glück
von Susann Rehlein

Bewertet mit 3 Sternen

Sie will sich ja nicht umbringen, sie will nur tot sein. Wieso bloss ist es ihr nicht egal, auf wen Joe Tornado seine Hände legt? [...] Sie kann doch unmöglich an diesem Dreivierteltag so viel Liebe in sich erzeugt haben, dass sie jetzt vor Liebeskummer gebückt geht [...].

Meine Meinung:

Susann Rehlein erschafft mit Dorle eine etwas andere Heldin. Mit dem französisch anmutenden Stil ist es nicht verwunderlich dass selbst die Hauptfigur "Die fabelhafte Welt der Amelie" liebt, wirkte das Buch auf mich wie die Geschichte von Amelies großer Schwester. Dorle macht es dem Leser zu beginn nicht leicht, das weiß die Autorin auch und platziert genau an der richtigen Stelle eine Nachricht an den Leser. Ohne diese hätte man vielleicht das Buch abgebrochen. Obwohl Dorle nicht zu der Sorte Frau gehört mit denen ich sympathisieren kann, haben mir einige Züge sehr gefallen. Sieht Dorle sich selbst als Helfer und Gutmensch habe ich es geliebt wenn die anderen Anwohner ein anderes Bild von ihr hatten. Frau Schräubchen sagt so schön, hier mal frei zitiert: "Eine Hilfe bist du ja jetzt nicht, machst auch nur Arbeit". In dem Sinn meint auch Herr Stottow dass ihr Klingelschildgeputze nur dazu führte, dass die Klingelkabel erodiert sind und er dadurch die Arbeit hat alles auszutauschen. Klarer Fall von Selbstbetrug! Nun muss Dorle lernen nicht nach der Pfeife anderer zu Tanzen, sondern ihre eigenen Wünsche zu erkennen und erfüllen.

Allerdings ist Dorle jemand, der ein Sonnuntergangsposter für Kultur und Mett für ein Lebensmittel hält, insofern wollen wir die Sache hier nicht gar so hoch hängen.

Frau Schräubchen, der Kater und Frau Sonne's Wohnung geben der Handlung einen murakamiesken Touch, ein Umstand mit dem ich mich erst anfreunden musste, hatte ich den nicht erwartet. Ist man allerdings erstmal in der Geschichte drin, ist es sehr stimmig eingebunden. Vor allem Dorles depressiven Züge fand ich wundervoll porträtiert. Einzig der Grundgedanke von Frau Sonne und Schräubchen, dass Dorles Probleme sich durch Luxus und Geld lösen lassen, lies mich wütend werden. Ach du hast Depressionen? Na hier, geh mal zum Yoga, ich hab dir eine Massage gebucht, wie wärs mit nem schönen Dinner, wohn doch in meiner Luxuswohnung... Umso schöner dass dem Leser erklärt wird, dass es so nicht funktioniert. Dorles Probleme lösen sich nicht in Luft auf. Dorles Entwicklung ist langsam und tränenreich und verbunden mit Arbeit ihrerseits. Frau Schräubchen hilft im Grunde nur bei der Erkennung des Problems, nicht bei der Lösung. Durch Frau Sonnes Aufträge, die Dorle per Fax aufgetragen werden, muss sie allerdings ihre Komfortzone verlassen.

Liebe muss wohl auch immer dazu gehören. Bei vielen Geschichten finde ich den Aspekt ja überflüssig. Vor allem hier, geht es um Dorles Selbstfindung und Überwindung ihrer Vergangenheit, sehe ich keinen Grund für eine Liebesgeschichte. Nicht falsch verstehen, ich liebe Liebesgeschichten. Ich mag nur keine Liebesgeschichte in Büchern die auch gut ohne könnten. Als Joe, der "Freund" von Dorle zuerst vorgestellt wird, habe ich lange Zeit gedacht sie versuche ihn loszuwerden, empfinde gar nichts für ihn und kann es sich nur nicht eingestehen oder sich nicht gegen seine Präsenz durchsetzen. Im Laufe der Handlung wird dann darauf hingearbeitet, dass sie wohl doch in ihn verliebt ist. Richtig rüber gekommen ist es bei mir erstmal leider nicht, hat man als Leser genug andere Konzentrationspunkte. Erst als Joe die Faxen dicke hat zeigt Dorle tatsächlich Emotionen. Positiv anzumerken ist allerdings, dass auch hier eine schöne Entwicklung besteht, Dorle die erst Distanziert ist, dann immer offener wird und am Ende tatsächlich verliebt. Die nächtlichen Anrufe haben Schmunzelgarantie! Warum Joe sich zu Dorle hingezogen fühlt, bleibt ein Mysterium.
Doch auch ohne Joe gibt es viele Knistermomente. Die Szene zwischen Dorle und James hat mehr geknistert als ein ganzer Colleen Hoover Roman.

Der Wolpertinger hat als Einziger kein Besteck, er sieht irgendwie traurig aus, steht abseits im Schatten, die anderen wenden sich den Köstlichkeiten zu und werden on Strahlern angeleuchtet. Dorle berührt den Kopf des Wolpertingers, streichelt die kleine Schnauze. 
>>Das wird schon, man kann auch mal abseits stehen, das macht nichts.<<

Eine Stärke der Autorin ist ganz klar die Entwicklung der Nebencharaktere. Sei es die Mary Poppins-ähnliche Frau Schräubchen, das vernachlässigte Kind Kasimir, den die Eltern stundenweise im Bioladen absetzen und keinen interessiert es, oder den Wolpertinger, der Ausdruck von Dorles Gefühlszustand widerspiegelt. So sehr man den Witwer Bruno am Ende ins Herz geschlossen hat, sosehr geht einem die spionierende und über alles beklagende Frau Bock auf den Wecker. Die schrullige Hausgemeinschaft und neuen Freunde von Dorle verschaffen dem Buch, trotz etwaigen ernsten Themen, das passende Feel Good Gefühl, das das Buch zu einer wundervoll unkitschigen Lektüren werden lässt.