Rezension

Die Kraft der Geschichten

Heimkehren
von Yaa Gyasi

Bewertet mit 5 Sternen

Effia wurde in der Nacht geboren in der das große Feuer über das Dorf kam. Zurück blieb eine dunkle Vorahnung über dessen Auswirkung auf alle nachfolgenden Generationen der Familie. Am Sterbebett ihres Vaters erfährt sie die wahre Geschichte ihrer Geburt. Mit einem schwarzen, golden schimmernden Stein, geht sie einer unbekannten Zukunft entgegen. - Die Geschichte um Effa schildert einprägsam das Leben in einem afrikanischen Dorf um das Jahr 1760, mit all den traditionelle Bräuchen und Zeremonien. Die Stämme sind noch weitestgehend unberührt von äußeren Einflüssen, jedoch hat man bereits begonnen, erste Handelsbeziehungen mit Engländern einzugehen. Die Auswirkungen werden schnell sichtbar. Unversehens haben Tiere und Menschen einen Wert bekommen und aus Gemeinschaften wurden Ungleichheiten.

Esi wächst im Asante-Land auf. Von einer Sklavin erfährt sie, dass sie nicht das erst Kind ihrer Mutter ist. Esi gerät in Gefangenschaft. Einen schwarzen, golden schimmernden Stein, den sie von ihrer Mutter bekommen hat, vergräbt sie im Verlies in dem fäkalien- und blutgetränkten Boden. - Die Zustände in dem Verlies sind grauenvoll. Yaa Gyasi findet dafür Worte, die einen erschauern lassen. Sie nimmt auch Bezug auf den historischen Konflikt der beiden Stämme Fanti und Asante und zeigt die Zerrüttung der beiden Akan Stämme auf.

Quey verbringt seine ersten Jahre in einer Hütte nahe der Festung Cape Coast auf. Er begreift, dass er weder schwarz noch weiß ist und spürt, dass er auch sonst anders ist. - Die unerwartete Nachfolge Queys als Leiter des Dorfes stellt sie in den historischen Kontext, in dem Familienzugehörigkeit und Erbrecht sich über die mütterliche Linie definiert.

Ness wurde als Kind ihrer Mutter entrissen und verkauft. - In diesem Abschnitt zeigt sich das schriftstellerische Können der Autorin. Von der Gegenwart ausgehend erfährt der Leser erst durch Andeutungen, dann durch Erinnerungen mehr von Ness‘ Geschichte. Das unvorstellbare Grauen gibt sie in einer Ungeschminktheit wieder das Bilder erzeugt, die haften bleiben.

James wird 1807 im Dorf seiner Großmutter geboren. - Der Kampf der Asante gegen die mit den Fanti verbündeten Briten bildet den politischen Rahmen für diesen Abschnitt. Der Sklavenhandel wurde von den Briten offiziell eingestellt, doch sie hatten nicht vor das Land zu verlassen.

Kojo wusste über seine Eltern nur das Wenige, das Ma Aku ihm erzählte. Als 1850 das Gesetz „Fugitive Slave Act“ verabschiedet wurde, verschwindet seine Frau mit dem ungeborenen Baby spurlos. - Die politischen Verhältnisse in Amerika sind das Treibende in der Geschichte von Kojo. Der Arbeitgeber seiner Frau ist Abolitionist und stellte früher sein Haus als Unterschlupf der Underground Railroad Bewegung zur Verfügung. Auch wenn die befreiten Sklaven gültige Papiere besaßen war das keine Garantie für ein befreites Leben. Viele wanderten in dieser Zeit weiter nach Norden.

Abena ist mit 25 noch immer unverheiratet. Sie beschließt in die Hauptstadt Kumasi überzusiedeln. Zum Abschied erhält sie von ihrem Vater eine Halskette mit einem schwarzen Stein, der golden schimmert.

„H“ war ca. 13 Jahre alt, als der Bürgerkrieg vorbei war. Doch das Ende des Krieges bedeutete nicht das Ende der Sklaverei.

Akua wird 1879 geboren. In Träumen erscheint ihr eine Frau aus Feuer.

Willie heiratet mit 18. Sie zieht mit ihrer Familie in den Norden. - Im Amerika der 20iger Jahre beginnen sich die Farben der Schwarzen Menschen zu nuancieren. Der Rassismus ist stark ausgeprägt.

Yaw bringt seinen Schülern bei, dass Geschichte „Geschichten erzählen“ bedeutet, doch dass man die Geschichten auch hinterfragen muss, denn sie zeigen nur eine Seite der Geschehnisse.

Sonny muss hilflos feststellt, dass er nichts ändern kann. - Die Unruhen der 1960iger Jahren in Amerika finden Einzug in Sonnys Geschichte. Die Rassentrennung zermürbt, die Lebenssituation der Schwarzen ist desolat. In diesem Land kann nichts schlimmer sein, als ein Schwarzer zu sein.

Marjorie besucht Ihre Großmutter. Diese erzählt ihr von ihren Träumen und von den Geistern ihrer Vorfahren. - Mit der Bezeichnung Afroamerikaner wurde Marjorie eine Definition übergestülpt, die nicht passte zu ihren Gedanken über ihre Herkunft und darüber, wo sie hingehört. Eine Verbindung zwischen Schwarzen und Weißen ist immer noch verpönt.

Marcus hat in den ersten Jahren auf einer alten Matratze geschlafen. Heute promoviert er an der Universität. In einem Museum lernt er eine junge Frau kennen. Beide verbindet die Angst vor den Elementen.

 

„Heimkehren“ ist ein vielschichtiger Roman

Ausgehend von Effia und Esi erzählt er die Geschichten ihrer Nachkommen über  Generationen hinweg bis in die Gegenwart.

Der Roman begibt sich auf die Suche nach den eigenen Wurzeln, nach dem was uns ausmacht, was uns verbindet und nach der eigenen Identität. Er zeigt, was die Kinder und Kindeskinder von ihren Vorfahren übernehmen und was sie anders machen. Er zeigt die Anstrengungen, eine Heimat zu finden und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Und er gibt ein tiefes Verständnis über das psychische Erbe und das Bestreben, dieses zu überwinden.

Er beschreibt Sklaverei, Sträflingszwangsarbeit, Rassenprobleme. Die politische Entwicklung trifft die Realität jeder einzelner Erzählung. Er fokussiert sich nicht auf die Tatsache, dass es nur die „Guten“ oder nur die „Bösen“ gibt.

Der Roman beschreibt auch, woraus man Kraft schöpft. Was stark und selbstbewusst macht.

Und er beschreibt die Kraft der Geschichten. Geschichten lehren uns die Vergangenheit, lassen uns verstehen. Sie geben uns einen Platz in ihr und zeigen uns Wege auf. Geschichten geben all dem was war ein SEIN. Die Geschichten ziehen sich als roter Faden durch den Roman. Man kann vielleicht sagen, dass der ganze Roman eine Sammlung von Geschichten ist.

Yaa Gyasi zeigt mit ihrem Debut einen überaus reifen und umfassenden Blick auf die Welt. Sie zeichnet die die Protagonisten im Kontext mit der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung. Rituale, Träume, Visionen und die Geister der Vorfahren sind für sie ein selbstverständlicher Bestandteil der afrikanischen Kultur und finden ihren Platz in diesem Buch.

Auf der letzten Buchseite befindet sich ein Stammbaum, der mir als Orientierung hilfreich war.

Stellenweise fand ich die Handlung etwas konstruiert. Das ist jedoch der einzige Kritikpunkt von meiner Seite. Das Buch hat mich von Geschichte zu Geschichte weitergetragen. Alle Personen wurden für mich klar sichtbar. Was angedeutet wurde, hat sich im weiteren Verlauf zu einem Gesamtbild geformt. Die Weise, wie sie unvorstellbares in fassbare Worte geschrieben hat, fand ich meisterhaft.

Der Schreibstil wird dem Thema gerecht, er ist nicht zu „laut“, doch auf sanfte Art eindringlich.

Ich empfehle diesen Roman aufgrund seiner Qualität und seiner Aktualität. Denn auch wenn heute Sklaverei weltweit verboten ist, werden noch zahlreiche Menschen ausgebeutet und sind der Willkür anderer ausgeliefert.