Rezension

Die Literatur war seine Heimat

Mein Leben - Marcel Reich-Ranicki

Mein Leben
von Marcel Reich-Ranicki

Bewertet mit 3.5 Sternen

In dieser Biographie kommt nicht nur ein echter Ausnahme-Literaturliebhaber zu Wort, sondern vor allem auch ein Zeitzeuge, der seinen Lesern einen sehr direkten Blick auf die jüngste Geschichte gewährt.
Marcel Reich-Ranicki blickt auf eine sehr bewegte und bewegende Lebensgeschichte zurück: jüdische Abstammung, in Polen geboren, im Berlin der zwanziger/dreißiger Jahre aufgewachsen, im Warschauer Ghetto interniert, selbst nur knapp dem Tod in den Gaskammern eines Konzentrationslagers entkommen.
Auch die Zeit nach dem Krieg zunächst in Polen, dann in der noch jungen Bundesrepublik ist spannend erzählt und mit vielen Anekdoten gespickt. Denn als Literaturkritiker hat Reich-Ranicki natürlich viele berühmte Literaten getroffen und lässt den Leser teilhaben an seinen Eindrücken, die vor allem die Menschen hinter den bekannten Werken zeigen.
Dem Menschen Marcel Reich-Ranicki kommt man durch die Lektüre ebenfalls etwas näher. Der im Fernsehen eher unnahbar agierende und gnadenlos kritische Mann zeigt in seinen Lebenserinnerungen einen feinen Sinn für Humor und überrascht angenehm durch selbstkritische und versöhnliche Töne.
Nicht nur durch seine Rolle als Kritiker war er stets ein Außenseiter, ein Fremder, einer den man loben, bewundern, hassen, aber niemals wirklich lieben wollte. Als Fremder sah sich Reich-Ranicki auch selbst, als einen der durch seine Herkunft und Lebensgeschichte um eine klare Heimat gebracht worden war und der sich vielleicht deshalb die Literatur zur einzig gültigen Heimat erkor.