Rezension

Die Macht der Gefühle

Der emotionale Rucksack - Vivian Dittmar

Der emotionale Rucksack
von Vivian Dittmar

Bewertet mit 2.5 Sternen

Das Sachbuch „Der emotionale Rucksack“ von Vivian Dittmar ist dem Thema Emotionen gewidmet. Mit Emotionen sind in diesem Kontext unverarbeitete Gefühle aus der Vergangenheit gemeint, die uns in der Gegenwart mitunter Probleme bereiten können.

Auf den ersten Blick klingt das sehr interessant und die Leseprobe hat daher auch sofort mein Interesse geweckt.

Jetzt, wo ich das Buch zu Ende gelesen habe - ich habe mich mit der Lektüre sehr schwer getan und musste es immer wieder kopfschüttelnd weg legen - bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich tatsächlich so viel persönlichen Gewinn verzeichnen kann, wie es auf den ersten Seiten den Anschein machte.

Die Autorin unterschätzt meines Erachtens die Auswirkungen, die eine Verarbeitung des Ballastes aus der Vergangenheit auf das Leben in der Gegenwart haben kann. Nicht umsonst unterscheidet man bei den gängigen Therapiekonzepten neben den Richtungen auch noch die Intensität (ambulant - teilstationär - stationär), je nachdem inwieweit man den Alltag während der Therapie noch bewältigen kann. Ein Buch wie „Der emotionale Rucksack“ kann nur auf ambulanter Ebene eingesetzt werden und ist damit bei den Menschen, denen die darin beschriebene „bewusste Entladung“ wirklich nützen könnte, nicht zielführend bzw. praktikabel. Er kann bei denen, die im Grunde keine wirklichen Probleme haben und nur ein bisschen „emotionale Hygiene“ betreiben und ihren Rucksack etwas verkleinern und aufräumen möchten vielleicht zu mehr Wohlbefinden führen, aber das ist für meine Begriffe Luxus. Das ist wie wenn sich Normal- oder gar Idealgewichtige einer Diätgruppe anschließen, um sich zu profilieren.

Ich muss dazu sagen, dass ich selbst sehr therapieerfahren bin und mir der Inhalt des Buches daher vom Prinzip her durchaus geläufig ist, nur nicht unter dem Namen. Es sind Elemente enthalten - wie Selbstreflexion, Achtsamkeit und bewusstes Fühlen - die in unserer heutigen Welt nicht mehr so groß geschrieben werden, wie sie sollten. Von daher sehe ich das Buch als eine Art Signal. Es schadet ganz sicher nicht, wenn sich mehr Menschen mal mit sich selbst beschäftigen und an die eigene Nase fassen bei Konflikten, statt immer nur Schuldige zu suchen. Aber die Aufarbeitung von Traumata und im Unterbewusstsein zementierten Altlasten ist mit der Methode der „bewussten Entladung“ nicht oder nur sehr bedingt möglich. Da müssen alle Beteiligten mitspielen. Ich halte das für unrealistisch.

Die Sprache ist sehr flüssig und eingängig und die Autorin impft einem das, was sie zum Ausdruck bringen möchte, durch zahlreiche Wiederholungen regelrecht ein. Das macht es aber für mich nicht besser umsetzbar in einer Welt, in der (gemeinsame) Zeit Mangelware ist. Die Übungen sind vor allem Partnerarbeit. Hier liegt meines Erachtens schon die erste Schwierigkeit. Regelmäßig Beziehungsgespräche mit seinem Partner zu führen und dazu noch die bewusste Entladung zu praktizieren, das erfordert enorm viel Selbstdisziplin auf beiden Seiten. Auch hätte ich Probleme, drei Personen für die sogenannte „rote Liste“ zu benennen, die ich im Akutfall anrufen könnte für die Entladung. 

Ich plädiere da eher für einen generell bewussten Lebensstil.