Rezension

Die Schmerzen der letzten Tage

Der Gedankenspieler - Peter Härtling

Der Gedankenspieler
von Peter Härtling

Bewertet mit 4 Sternen

Johannes Wenger, ein achtzigjähriger alleinstehender Architekt, ist gestürzt und seither auf den Rollstuhl und Pflege angewiesen. Das kratzt an seinem Selbstbild, macht den Alltag mühsam und lässt viel Raum für Einsamkeit und Wehmut. Sein junger Hausarzt Dr. Mailänder jedoch hält dagegen und Wenger am Leben, holt ihn zurück in die Welt und lädt ihn mit seiner Familie zu einem gemeinsamen Osterurlaub ein. Wie der grantige Alte auf diese Einladung reagiert, ist meisterhaft erzählt. Und was alles geschehen kann, wenn man mit einem kauzigen Rollstuhlfahrer, der gedanklich in ständigem Austausch steht mit historischen Figuren wie den Architekten Karl Friedrich Schinkel oder Mies van der Rohe, an den Strand von Travemünde reist, ist ein großes Leseerlebnis voller Komik und Melancholie. (KiWi-Verlagsseite)

Johannes Wengler war ein angesehener Vortragsredner, Schreiber und Experte zum Thema Architektur, obwohl er selbst nie Bauleitungen übernommen hatte. Auch heute noch, mit 83 Jahren krank, gehbehindert und hinfällig, erhält er diesbezüglich Aufträge.

Er lebt allein, war anscheinend niemals mit einer Frau zusammen, hatte keine Freunde; jetzt kümmert sich sein junger Hausarzt über das Berufliche hinaus um ihn und wird ihm ein Freund. Und auch mit dessen Frau und deren Tochter lässt Wengler sich auf eine Freundschaft ein.

In Gedanken, später auf Papier, setzt er sich sowohl mit berühmten Architekten als auch mit fiktiven Personen und seinem Freund Mailänder in Form von Briefen auseinander.

Nach einem Sturz ist Wengler auf fremde Hilfe angewiesen, und es fällt ihm sehr schwer, sie anzunehmen. Er leidet vor allem an der Unselbstständigkeit und Unfähigkeit, den Tag nach eigenem Gusto zu gestalten, das Haus zu verlassen oder nicht, eine Gaststätte zu besuchen, eine Bibliothek. Er versucht immer wieder Ausflüge zu den Stätten seines alten Lebens, doch diese erweisen sich als strapaziöse und mühselige Angelegenheiten. Auch während der Travemünde-Woche mit Mailänders kann er nicht völlig entspannen, denn ein Pfleger muss natürlich für ihn zugebucht werden.

Härtling hat dem Protagonisten die Krankheiten auf den Leib geschrieben, an denen er selbst litt und die letztlich zu seinem Tod führten. Durch die Stimme Wenglers spricht der Autor über Schmerzen, Scham und das Ende, spricht in dem leichten, ruhigen Tonfall, der ihm eigen ist, auch wenn Wengler gerade seinen grantigen Tag hat.

Die Rolle des Alter Ego von Peter Härtling passt Wengler, auch wenn ihre Lebenssituation eine ganz andere ist, weil Härtling eine Familie hatte. Als exemplarisches Beispiel eines alten kranken Mannes taugt er bedingt: Er ist privilegiert, sein Hausarzt ist sein bester Freund, ihm stehen als Privatpatient alle Behandlungen offen, sowohl in der Klinik als auch zuhause.

Was in Erinnerung bleiben wird von diesem Buch, sind Wahrheit und Wahrhaftigkeit der geschilderten letzten Zeit.