Rezension

Die verschwundenen Wissenschaftler

Der unheimliche Weg - Agatha Christie

Der unheimliche Weg
von Agatha Christie

Bewertet mit 5 Sternen

Mitten im Kalten Krieg, im Jahre 1954, stellt das mysteriöse Verschwinden einiger der besten und berühmtesten Wissenschaftler ihrer Zeit die Geheimdienste der westlichen Welt vor ein Rätsel!
Wurden sie entführt? Bekamen sie von der Gegenseite ein Angebot, dem sie nicht widerstehen konnten? Wer steckt überhaupt dahinter? Und welchen Zweck verfolgt derjenige?
Als auch Tom Betterton, ein kanadischer Wissenschaftler, der vor einiger Zeit eine bahnbrechende Entdeckung im Bereich der Atomphysik gemacht hatte und der inzwischen in England forscht, plötzlich wie vom Erdboden verschwunden ist, sieht Jessop vom britischen Geheimdienst erstmals eine vage Möglichkeit, dem Rätsel auf die Spur zu kommen!
Denn Olive, Bettertons zweite Ehefrau, schickt sich offensichtlich an, ihrem Mann zu folgen. Doch kommt sie auf ihrem Weg zu ihm bei einem Flugzeugunglück ums Leben - und Jessop bekommt seine Chance, in Person der jungen Engländerin Hilary Craven, die, nachdem ihr Mann sie verlassen hat und dann auch noch ihre kleine Tochter starb, nicht mehr weiterleben möchte und im Begriff ist, sich das Leben zu nehmen.
Jessop hält sie in letzter Minute davon ab und bietet ihr, die nichts mehr zu verlieren hat, stattdessen an, Olive Bettertons Stelle einzunehmen und sich zu deren Mann bringen zu lassen - und damit dem Geheimdienst endlich eine Spur zu den verschwundenen Wissenschaftlern mitten im nordafrikanischen Atlas-Gebirge, wie sich im Laufe der Handlung herausstellt, aufzuzeigen.
Ein lebensgefährliches Unterfangen, auf das sich die sehr bald gar nicht mehr lebensmüde Hilary einlässt, das mit allerlei unerwarteten und erschreckenden Wendungen aufwartet und den Leser bis zur letzten Seite in atemlose Spannung versetzt....

Was dem Leser des 21.Jahrhunderts einigermaßen phantastisch erscheinen mag, war in der 50er Jahren, als die Welt durch den Eisernen Vorhang geteilt und in Amerika die Kommunistenhatz in vollem Gange war, bittere Realität!
Spionage und Gegenspionage, Überläufer, Vaterlandsverräter waren ein heißes Thema - und Agatha Christie, eine eifrige Zeitungsleserin und noch eifrigere Weltenbummlerin, immer auf der Höhe ihrer Zeit, schrieb in dieser Epoche ihre berühmten Spionage-Krimis, die sie in der Regel dort ansiedelte, wohin sie zuvor mit ihrem Mann, dem Archäologen Max Mallowan gereist war und die sie mit Personen bestückte, die ihr so oder ähnlich begegnet waren, die sie vielleicht auch nur aus der Ferne beobachtet hatte oder deren Gespräche sie mitangehört hatte.
Im vorliegenden Kriminalroman sucht sie sich Marocco aus - und lässt uns durch ihre Charaktere eine geheimnisvolle Welt aus Tausendundeinenacht erleben! Denn auch im Erschaffen einer Atmosphäre, die sofort für den Leser spür- und erfahrbar wird, war die große Dame des Kriminalromans eine Meisterin!

Selbst wenn die Thematik des Krimis auf einen Spionageroman hindeutet, so haben wir es hier gewiss nicht mit einem typischen zu tun! Und es gibt keinerlei Ähnlichkeiten mit den berühmten Romanen Ian Flemings, der etwa zeitgleich mit "Destination Unknown" seinen unsterblichen James Bond erschuf.
Nein, Agatha Christie blieb immer unverkennbar, unverwechselbar sie selbst: raffiniert und vollkommen schlüssig erdachte Handlungen mit allerlei Verwicklungen, versteckte Hinweise, falsche Fährten, überraschende Wendungen und fulminante Auflösungen, auf die der Leser mit all ihren Implikationen gewöhnlich nicht kommen kann, es sei denn, er ist ein Superhirn wie etwa Hercule Poirot es ist, oder ein mit allen Wassern gewaschener und vollkommen illusionsloser Kenner der menschlichen Natur wie die äußerlich so sanfte, betuliche Miss Marple!
"Destination Unknown" muss ohne Agatha Christies bekannteste Ermittler auskommen!
Statt ihrer ist es hier eine ganze Gruppe von Beteiligten, von denen jeder einzelne seinen Teil zur Lösung des Rätsels beiträgt, - bis ein Gesamtbild entsteht.

Die Hauptfiguren sind keine außergewöhnlichen Menschen, - und gerade das macht sie glaubwürdig in der jeweiligen, ihnen zugedachten Rolle. Es macht sie zu lebendigen Charakteren, wie nur eine Agatha Christie, großartige und unbestechliche
Menschenkennerin die sie war, erschaffen konnte.
"Destination Unknown" ist ein weiterer meisterlicher Beweis dafür!