Rezension

Die wahre Kunst des Erzählers

Tabu - Ferdinand von Schirach

Tabu
von Ferdinand von Schirach

Ob in den Erzählbänden „Schuld“ und „Verbrechen“ oder in den Romanen „Der Fall Collini“ und „Tabu“ – die Hauptfiguren in den Büchern Ferdinand von Schirachs sind immer Menschen, die durch ein einschneidendes Ereignis in ihrem Leben aus der Bahn geworfen, „verrückt“ werden.

Im Fall des Künstlers Sebastian von Eschbach, Protagonist in „Tabu“, ist dies der Selbstmord seines Vaters, denn danach ist für das Kind nichts mehr wie es war. Von seiner Mutter in ein Internat abgeschoben findet der Synästhetiker, der die Welt um sich herum in Farben wahrnimmt, Halt in Büchern und der Kunst. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass seine spätere Berufswahl dadurch beeinflusst wird und er sich von dem Brotberuf des Fotografen zum Videokünstler weiterentwickelt. Völlig aus den Fugen gerät sein Leben, als er des Mordes an einer jungen Frau beschuldigt wird. Aber er hat einen exzellenten Verteidiger, der alles daransetzt, die Unschuld seines Mandanten zu beweisen.

Ferdinand von Schirach ist nicht nur Schriftsteller sondern auch Strafverteidiger, und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Themen, die er in seinen Büchern behandelt, Moral und Gerechtigkeit behandeln. Er schreibt nüchtern, klar und ohne Abschweifungen, fast schon dokumentarisch, und man hat fast das Gefühl, einen juristischen Schriftsatz zu lesen. Einerseits passt dieser emotionslose Stil ohne viel Füllmaterial perfekt zu von Schirachs Geschichten, andererseits bleibt dadurch der Leser aber auch immer auf Distanz zu den Personen, weil er weiß, dass deren Schicksal nur als Aufhänger für wesentlich komplexere Themen dient.

Dem Autor geht es weniger um ein Einzelschicksal als um die Erörterung moralphilosophischer Fragestellungen. Welche Mittel dürfen bei der Befragung eines Verdächtigen angewendet werden, um dessen Schuld zu beweisen? Muss sich ein Ermittler an Recht und Gesetz halten, wenn es darum geht, einen Mord aufzuklären oder ein Menschenleben zu retten?

Diese Fragen hallen auch nach Beendigung der Lektüre von „Tabu“ noch lange nach, und darin liegt die wahre Kunst des Erzählers.