Rezension

Die zwei Seiten des Mondes

Janusmond - Mia Winter

Janusmond
von Mia Winter

Bewertet mit 5 Sternen

Elf Jahre zuvor zieht Lune Bernberg ins südliche Frankreich. Sie fasst Fuß in Louisson, beginnt ein Studium an der Universität La Valuse - doch dann verliert sich ihre Spur. An sich nicht verwunderlich, ist sie doch oft hin und wieder verschwunden, um wenig später aufzutauchen, als sei nichts gewesen. Dieses Mal gibt ihre Familie das Warten allerdings auf. Zehn Jahre sind eine lange Zeit! Lunes Zwillingsbruder Leon versucht, die bürokratischen Angelegenheiten mit der hiesigen Polizei zu klären. Ganz so einfach macht es ihm Inspektor Christian Mirambeau jedoch nicht. Ist es Zufall oder sein untrüglicher Instinkt, der um den Fall Bernberg mehr erahnen lässt, als lediglich die Ausstellung des offiziellen Dokuments? Christian Mirambeau ist daran gelegen, dem traurig wirkenden Deutschen zu helfen. Er gelangt an Lunes zurückgelassene Habseligkeiten, stellt Nachforschungen an und gerät immer tiefer in den Sog der Vermissten. Wer ist Lune Bernberg? Eine junge Frau mit merkwürdigen Schrullen, die alles zählt, was zählbar ist, und ihre Umgebung stets in ausdrucksstarken Metaphern wahrnimmt. Freiheitsliebend, mutig, extrem … Und mit einer berauschenden Wirkung auf ihre Mitmenschen. So auch auf ihren Zwillingsbruder, einer Symbiose gleich. Lune hat allgemeinhin ein sensibles Gespür für Menschen, was ihren manipulativen Tendenzen zugutekommt. Eine ihrer machtvollen Stilmittel ist Schweigen. Eine Stille, an der manch einer zu zerbrechen droht. Südfrankreich ist für sie ein Abenteuer, unerkannt zeigt sie viele Gesichter und trägt ebenso viele Namen. Immer auf der Suche nach dem einen Menschen, der so ist wie sie, der sie vollends versteht. Nicht nur Leon, auch Mirambeau folgt ihren Wegen, sucht diverse Plätze und Menschen der Vergangenheit auf. Er bietet dem Zwillingsbruder Unterkunft und Verpflegung im eigenen Heim und rollt Schritt für Schritt Lunes Geschichte auf. Zeitgleich ermittelt Kollege Uldis Melville in einem Mordfall und zieht Christian Mirambeau hinzu. Und siehe da, fügen sich plötzlich Puzzleteilchen ineinander und Abgründe der menschlichen Psyche tun sich auf …

Nicht nur Menschen in Lune Bernbergs unmittelbarer Nähe scheinen ihrem geheimnisvollen Wesen zu verfallen, auch die Leserschaft gerät in den Sog dieser atmosphärischen Geschichte. Zunächst meint man es mit einer Familientragödie zu tun zu haben, doch Autorin Mia Winter alias Stefanie Koch, bekannt durch Romane um Kommissar Lavalle, führt durch ein Dickicht aus Lügen, Intrigen und furchtbaren Verbrechen unmittelbar hinab in die verwirrenden, dunklen Gassen des Rotlichtmilieus. Erzählt wird in dritter Person Singular aus verschiedenen Perspektiven. Ereignisse der Gegenwart und Erinnerungen aus vergangenen Tagen werden durch Briefe der Vermissten ergänzt. Lange Zeit scheinen die wahren Hintergründe des Geschehens verborgen, was die Lektüre umso spannender gestaltet. Erst gegen Ende des Romans bestätigen sich diffuse Ahnungen durch geschickt gesetzte psychologische Kniffe. Die Auflösung des Falls scheint logisch, wenn auch nichts für zarte Gemüter.

Janusmond erscheint als Originalausgabe bei Lyx. Die Klappenbroschur weckt ebenso Aufmerksamkeit wie der düstere Inhalt. In schwarz/weiß mit wenigen, dafür ins Auge stechenden, roten Akzenten und allem voran dem schwarzen Schnitt, hebt sich der Titel deutlich von anderen Büchern ab. Einmal Neugier geweckt, machen Informationen zum Inhalt auf Buchrückseite und Innenklappe Lust auf mehr. Papier, Satz und Druck sind in gewohnter Qualität ohne Fehl und Tadel.

Fazit: Janusmond ist eine verstörende Geschichte um ein außergewöhnliches Zwillingspaar, allerlei widrige Umstände und fast schon so etwas wie psychologische Kriegsführung. Mia Winter betrachtet die dunkle und die helle Seite des Mondes, der Charaktere und des Schauplatzes Louisson. Eine spannende, geheimnisvolle, ebenso wie emotionale und gar abstoßende Lektüre, die man so schnell nicht vergisst.