Rezension

Dieser Roman gehört zu den außergewöhnlichsten Romanen des Jahres

Im freien Fall oder wie ich mich in eine Pappfigur verliebte - Jessica Park

Im freien Fall oder wie ich mich in eine Pappfigur verliebte
von Jessica Park

Wie Julie zum Babysitter einer 13-Jährigen und einer lebensgroßen Pappfigur wurde

Julie Seagles Leben in Boston beginnt mit einer mittelschweren Katastrophe, dabei steht bereits der erste Tag am College kurz bevor. Statt sich über die erste Wohnung zu freuen und Pläne für das Leben in der neuen Stadt zu schmieden, steht sie nach ihrer Ankunft in Boston vor dem Nichts. Doch eigentlich ist das nicht ganz so richtig. Um genau zu sein, steht sie nach ihrer Ankunft vor einem einstöckigen Burrito-Restaurant – und das befindet sich wiederum genau dort, wo Julie über das Internet eine Wohnung gemietet und natürlich im Voraus bezahlt hat. Mann muss kein Genie sein, um zu merken, dass sie über den Tisch gezogen wurde. Doch sie hat Glück im Unglück. Eine alte Studienfreundin ihrer Mutter lebt mit ihrer Familie in Boston und bietet ihr nach der ersten Enttäuschung einen sicheren Unterschlupf.

Die Watkins sind eine merkwürdige Familie: Die Eltern sind ehrgeizige Workaholics, ihr 21-jähriger Sohn Matt ist ein absoluter Nerd, und die 13-jährige Tochter Celeste kann nicht ohne eine lebensgroße Pappfigur ihres Bruders Finn leben, der gerade die weite Welt bereist. Doch mit der Zeit wird klar, dass hinter Celestes Verhältnis zu Pappfinn weitaus mehr als nur ein harmloser Tick steckt. Trotzdem schließt Julie die Familie in ihr Herz – und das schließt irgendwie auch den lebensgroßen und sehr attraktiven Pappfinn mit ein. Möglicherweise liegt das jedoch auch daran, dass sich durch Zufall zwischen dem echten Finn und Julie eine Mailfreundschaft entwickelt hat, die Julies Herz mit jedem Lebenszeichen höher schlagen lässt. Auch aus diesem Grund kann auch sie es nicht erwarten, dass Finn endlich zu seiner Familie zurückkehrt und somit Pappfinn unnötig macht. Doch der lässt sich mit seiner Rückkehr verdächtig viel Zeit …

Das Lustige daran war, dass Papp-Finn trotz seines starren Blicks richtig süß war. Genau genommen war er sogar ausgesprochen sexy, was Julie für einen geschmacklosen Gedanken hielt, weil er eine Menge mit einer Gummipuppe gemein hatte, aus der jemand die Luft herausgelassen hatte. – Seite 34 –

Ein Roman, in dem alle Arten der Liebe vorkommen …

Im freien Fall oder wie ich mich in eine Pappfigur verliebte gehört für mich zweifelsfrei zu den außergewöhnlichsten Büchern in diesem Jahr. Bereits die ersten Seiten lassen erahnen, dass ihnen gute Unterhaltung folgt, allerdings wird dort noch nicht deutlich, welcher Schatz sich hinter dem wunderschönen Cover und dem ausgefallenen Titel verbirgt. Die Leser lernen gemeinsam mit Julie die Familie Watkins kennen und erahnen ebenso wie die sympathische Protagonistin die dunklen Geheimnisse der Familie. Doch Julie bringt wieder Licht in die Familie, bei der sich alles um die Interessen der sonderbaren Celeste dreht. Sie befindet sich nämlich bereits am Anfang ihrer Pubertät, doch statt mit Freundinnen über Kosmetik und Jungs zu tratschen, sind Pappfinn und Matt ihre einzigen Bezugspersonen – bis Julie auftaucht und die Strukturen der Familie gehörig durcheinander bringt.

Ohnehin beschlich mich beim Lesen immer wieder das Gefühl, das Julie für die Familie wie ein Geschenk des Himmels wirken muss, denn mit ihrer fröhlichen und hilfsbereiten Art erscheint sie wie das komplette Gegenteil der Familie. Nur Finn besitzt eine ähnliche Leichtigkeit. Wohl auch deshalb verstehen sich die beiden auf Anhieb. Beide sind der Beweis dafür, dass sich die Liebe nicht darum kümmert, wie viele Kilometer sich zwischen zwei Verliebten befinden. Und gleichzeitig ist Finn unendlich dankbar, wie sehr sich Julie um Celeste kümmert und sie wieder und wieder aus der Reserve lockt. Diese Bestätigung braucht sie auch, denn in dem gesamten Roman erscheinen die Eltern eher als sympathische Randfiguren, denen die richtige Beziehung zu ihren Kindern fehlt. Matt hingegen ist eine Art Fels in der Brandung für die Familie – und diesen Druck merkt man ihm an. Beim Lesen kommt immer wieder das Gefühl auf, dass Matt ein alter Mann im Körper eines jungen Erwachsenen ist – also vom Verhalten her das komplette Gegenteil seines Bruders. Und doch kann die ganze Familie das Herz der Leser gewinnen. Daher erscheint dieser Roman auch stellenweise wie ein Karussell der Gefühle, das aber insbesondere durch den leichten und liebevollen Kontakt zwischen Julie und Finn immer genügend Leichtigkeit bereithält.

Fazit

Im freien Fall oder wie ich mich in eine Pappfigur verliebte verspricht nicht nur jede Menge Herzklopfen, sondern auch eine ordentliche Portion Herzschmerz. Obwohl ich aufgrund eines nicht gekennzeichneten Spoilers im Netz nach der Hälfte bereits den Ausgang des Romans kannte – und ich somit den sicherlich vorhandenen Überraschungseffekt im Plot nicht bewerten kann – empfinde ich diesen Roman als sehr lesenswert. Trotzdem würde ich ihn eher reiferen Lesern empfehlen, denn die Probleme, die innerhalb der Handlung angesprochen werden, sind in meinen Augen recht tiefgründig. Dennoch muss sich niemand vor allzu schwerer Kost fürchten, denn Jessica Park findet in ihrer gefühlvollen Geschichte eine perfekte Balance zwischen Emotionen und Humor.