Rezension

Distanziert-nüchterner Roman über das Recht aufs Anderssein

Die Ladenhüterin - Sayaka Murata

Die Ladenhüterin
von Sayaka Murata

Bewertet mit 4 Sternen

"Alle trampelten auf Sonderlingen herum und glaubten, das Recht zu haben, irgendwelche Ursachen aufzudecken." (54)

Was ist normal? Wer bestimmt, was normal ist?

Normal ist Keiko Furukura nach dem üblichen Sprachgebrauch und nach den allgemeinen Ansichten nicht. Schon als Kind fällt sie aus der Rolle und sie scheint ziemlich gefühllos zu sein. Dabei ist sie aber nicht bösartig, sondern verstummt irgendwann, um nicht anzuecken und ihrer Familie keine Sorgen und keine Schande zu machen – Japan eben. Das ist jedoch überall in der westlichen Welt ähnlich.

"Diese Welt erkennt Außenseiter nicht an." (80)

Als gesellschaftsfähig erscheint Keiko nicht: kein Beruf, kein Mann, keine Kinder. Sie lebt einsam, empfindet das aber nicht so, denn sie hat ihre Berufung gefunden – was wiederum keiner verstehen kann: Sie arbeitet – auch nach 18 Jahren noch – als Aushilfe in einem Supermarkt, der rund um die Uhr geöffnet hat. Dort kann sie sich im Rahmen von Regeln bewegen und andere nachahmen, z.B. in dem, was sie sagt und wie sie es sagt. Nur nicht auffallen.

In diesem Buch gibt es wenig Handlung, die Sprache ist einfach und den modernen Zeiten angepasst ("Echt jetzt?"), die distanzierte Atmosphäre ohne Emotionen empfinde ich als trostlos und bedrückend.

Warum ich aber trotzdem 4 Punkte gebe:

Der Pluspunkt dieses Buches sind die vielen Sätze, die sich mit dem Anderssein beschäftigen und das Nachdenken anregen, dem Gegensatz zwischen Individualität und Konformität, dem Zwang zur Anpassung und der Anforderung, gesellschaftlich zu funktionieren.

"Der Mensch hat die Pflicht, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu werden, indem er einen Beruf ergreift oder eine Familie gründet. Oder beides." (59)

"Obwohl man heute von Individualismus spricht, werden Menschen, die zu keinem Stamm gehören wollen, belästigt, ungerecht behandelt und zu guter Letzt ausgestoßen." (82)

Wie es ist, anders zu sein und inwieweit man sich der Gesellschaft anpassen will oder muss, kann jeder nur für sich selbst beantworten, auch die Frage, wie weit man Anderssein akzeptiert, wo man die Grenzlinie zieht, ob man nicht bei vielem toleranter sein müsste und jeden so sein lässt, wie er ist, solange es keinem anderen schadet.