Rezension

Drei Frauen, viele Geheimnisse...

Gute Nacht, Frau Holle
von Marie H. Berger

Das Buch baut schon im Prolog schnell Spannung auf, und so packte und faszinierte mich die Geschichte auch direkt. Diese Spannung blieb mir etwa das erste Drittel hindurch erhalten, in dem die Autorin uns Charaktere vorstellt und uns Hintergrundinformationen und Familiengeschichten zukommen lässt. Dann flaute die gespannte Erwartung für mich eine Weile ab, weil ich mich etwas erschlagen fühlte von den ganzen Personen und Handlungsebenen, die sich zunächst zu keinem klaren Bild zusammensetzen, und gegen Ende stieg der Spannungsbogen dann wieder drastisch an.

In manchen Passagen fühlte sich das Buch für mich nicht an wie ein Thriller - eher wie ein Familiendrama, was an sich ja nicht schlecht sein muss. Ein bisschen Familiendrama, dann wieder ein bisschen Thriller, dann wieder ein kurzer Abstecher in die Frauenliteratur, da Kristin heimlich in den Freund ihrer besten Freundin verliebt ist... Ab und an kommt noch eine Prise Okkultimus hinzu, gewürzt mit einer kräftigen Dosis Sadismus. Eine bunte Mischung aus Genres. Der Vorteil ist, dass diese Mischung originell und unverbraucht ist, denn hier ist nichts typisch für nur eins dieser Genres! Der Nachteil ist, dass sie auf mich manchmal etwas verworren und unstrukturiert wirkte.

Einen kleinen Teil der Auflösung hatte ich schon erraten, aber wirklich nur einen winzig kleinen - die meisten Wendungen gegen Schluss kamen für mich völlig überraschend. Manche Fragen hätte ich gerne etwas ausführlicher beantwortet bekommen, aber im Großen und Ganzen fand ich das Ende schlüssig und überzeugend, und auf keinen Fall vorhersehbar oder abgedroschen.

Es gibt viele Charaktere in diesem Buch: Täter und Opfer, und Opfer, die Täter werden... Und die Menschen, die indirekt von diesem ganzen geballten Leid mitbetroffen sind. Im Mittelpunkt stehen drei Frauen: Kristin, Lina und Ariana, die alle auf ihre eigene Art und Weise ihre Bürde zu tragen haben. Kristin versucht, ihre Einsamkeit mit bedeutungslosem Sex zu betäuben, Lina leidet an mysteriösen, schmerzhaften Krampfanfällen und fühlt sich von Ariana verfolgt und bedroht, und Ariana wiederum war ihr ganzes Leben schon die Ungeliebte, das dritte Rad am Wagen, die Außenseiterin, die niemand verstehen wollte. Mal konnte ich die drei gut verstehen und mit ihnen mitfühlen, dann konnten sie mich wieder in manchen Szenen emotional gar nicht berühren... Viel Potential, das in meinen Augen nicht immer voll ausgeschöpft wurde!

Die richtig "Bösen" in diesem Buch haben mich wenig überzeugt - zu absolut wird deren Verderbtheit und Perversion geschildert, und man erfährt wenig bis gar nichts über ihren Charakter darüber hinaus.

Es gab ein oder zwei Charaktere, deren Verhalten mir zunächst unlogisch vorkam - aber am Schluss stellte ich fest, dass es dafür gute Erklärungen gab, da hat die Autorin mich also kalt erwischt! Allerdings gibt es eine Sache, die für mich unlogisch blieb: ein Charakter erlebt etwas Schlimmes im Haus ihres Angreifers. Sie kann sich befreien, geht aber nicht einfach zur Polizei, sondern fasst einen Plan, über den sie selber später sagt: Junge, wenn ich das in einem Buch gelesen hätte, hätte ich das Buch weggelegt, weil es so unlogisch ist!

Der Schreibstil war für mich etwas... wankelmütig. Mal ist er schlicht, aber in seiner Klarheit dennoch ansprechend und flüssig zu lesen, dann ist er wieder detailliert und bildreich - und beides hat mir auf seine Art gut gefallen. Wo mich der Schreibstil aber überhaupt nicht angesprochen hat ist an beiden Enden des inhaltlichen Spektrums: in den erotischen Szenen und den Szenen brutaler Gewalt. In ersteren wird der Schreibstil blumig und überschwänglich und bedient sich Phrasen, die auf mich übertrieben und kitschig wirkten, und in letzteren strotzt er vor widerwärtigen Details - vor allem in den Szenen sexueller Gewalt. Das war mir oft einfach zu viel, und diese ganzen Einzelheiten haben für mich die Spannung nicht erhöht, nur den Ekelfaktor. Aber ich gebe gerne zu, dass das bei Thrillern für mich immer ein Balanceakt ist zwischen "zu harmlos" und "zu eklig"...
Das Thema Liebe wird auch angesprochen, hält sich aber meist dezent im Hintergrund, für mich genau richtig... Bis auf die bereits erwähnten erotischen Szenen, die mir dann doch etwas zu schwülstig wurden.

Fazit:
Mal Thriller, mal Familiendrama, mal Frauenroman... Die Mischung ist originell, und der Roman ist vollgestopft mit (meist guten) Ideen, aber wirkliche Thrillerspannung kam für mich hauptsächlich am Anfang und am Ende auf. Mit den Charaktere konnte ich mal mitfühlen, mal nicht. Der Ekelfaktor ist mir in einigen wenigen Szenen ein wenig zu hoch, aber darüber kann man sich bei einem Thriller ja nicht wirklich beschweren... Dennoch habe ich das Buch im großen und Ganzen gerne gelesen!