Rezension

Drei junge Frauen im Nachkriegs-England

The Flight Of The Maidens - Jane Gardam

The Flight Of The Maidens
von Jane Gardam

Bewertet mit 4 Sternen

Es ist der letzte gemeinsame Sommer, bevor das College beginnt. Una, Hetty und Lieselotte sind 17 Jahre alt, haben die Schule abgeschlossen und wissen bereits, dass sie alle drei an unterschiedlichen englischen Colleges zugelassen worden sind. Studieren können die Mädchen aus einfachen Verhältnissen nur, wenn sie auch ein Stipendium bekommen. Lieselotte kam als 11-Jährige mit einem Kindertransport als jüdischer Flüchtling aus Deutschland und hat seitdem als Pflegekind bei den Stonehouses gelebt. Hettys Vater lebt in seiner eigenen Welt, seit er traumatisiert aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrte. Von Unas Vater wird vermutet, dass auch er an einem Kriegstrauma litt und sich deshalb das Leben genommen hat. Die drei 17-Jährigen sind überzeugt, schon vollkommen erwachsen zu sein. Sie verbringen die letzten Ferientage auf unterschiedliche Art und jede wartet auf die Nachricht, ob ihr College ein Stipendium vermitteln kann. 1946 hatte ein Studium für Mädchen, die keinem weiblichen Vorbild nacheifern konnten, nicht gerade Priorität. Der Alltag der ersten Nachkriegsjahre war geprägt vom geschickten Jonglieren mit Lebensmittel- oder Kleidermarken und dem Sich-Durchschlagen unter schwierigen Bedingungen. Als erstes scheinen sich Lieselottes Pläne zu zerschlagen, als eine jüdische Hilfs-Organisation sie - ohne sie groß um ihre Meinung zu fragen - zuerst nach London schickt und dann beschließt, ihr die Reise zu ihrer einzigen überlebenden Verwandten in den USA zu finanzieren. Ob Una tatsächlich ein Studium beginnen wird, scheint fraglich, als sie in dem klassenbewussten Eisenbahner Ray einen kritischen wie unternehmungslustigen Verehrer findet. Hetty schließlich reist allein und mit einer riesigen Tasche voller Bücher in den Lake District, um dort in Ruhe ihre Lektüre-Liste für das College abzuarbeiten. Wie Hettys und Unas Mütter, die mitfühlenden Nachbarinnen und die Bibliothekarin, die die drei stets gefördert hatte, bangt man als Leser dieser Sommer-Geschichte, ob die jungen Damen im Herbst tatsächlich wie geplant zum College gehen werden oder sich in letzter Minute noch anders besinnen. Lieselotte ist weit weg in den USA und Rays Werbung um Una könnte Una noch vor Semesterbeginn auf dumme Gedanken bringen.

Jane Gerdam beschreibt treffend und mit britischem Humor den Sommer 1946, einen besonderen Sommer im Leben dreier 17-jähriger Mädchen. Die Autorin verschweigt nicht die Existenz von Konzentrationslagern in Deutschland und lässt Ray kritisch fragen, ob Una eigentlich Zeitung liest und was sie von der Wirklichkeit jenseits ihrer provinziellen Idylle mitbekommt. Die Kriegsfolgen werden in den traumatisierten Vater-Figuren und in der Beschreibung des zerstörten London deutlich, ohne dass ein einziges Mal aufdringliche englische Nazi-Klischees strapaziert werden. Die drei Grazien und die zahlreichen äußerst skurrilen Nebenfiguren sind von der Autorin liebevoll charakterisiert und sorgen für eine leicht lesbare, humorvolle Sommergeschichte.