Rezension

Düster, unheimlich und faszinierend - Der wohl berühmteste Vampirroman

Dracula - Bram Stoker

Dracula
von Bram Stoker

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt

Der Rechtsanwalt Jonathan Harker reist im Auftrag seines Chefs nach Rumänien zu dem Grafen Dracula, der in London ein Haus zu kaufen wünscht. Zwar ist der Graf äußerst höflich, doch nach und nach wird er Jonathan auch unheimlich, bis dieser erkennt, dass er in eine Falle getappt ist. Eine tödliche Falle.

Einige Zeit später besucht Jonathans Verlobte Mina ihre gute Freundin Lucy, der es nicht gut zu gehen scheint. Sie schlafwandelt, hat Albträume und wird zunehmend blasser und schwächer. Verzweifelt versucht der mit Lucy befreundete Arzt John Seward, die Ursache für dieses medizinische Phänomen zu finden und ruft sogar seinen Freund, den überaus talentierten Doktor Van Helsing zur Hilfe.

Meinung

Für die düsteren Herbsttage hatte ich mir endlich einen Klassiker vorgenommen, den ich schon lange einmal lesen wollte: "Dracula", der zwar nicht der erste, wohl aber der bekannteste Vampirroman ist.
Und ich wurde wahrlich nicht enttäuscht, wenn auch das ein oder andere mal überrascht.

Das Buch ist aufgemacht als eine Sammlung von Tagebucheinträgen, Briefen und einigen wenigen Zeitungsartikeln. Dadurch bekommen wir neben den drei Figuren, die die Geschichte hauptsächlich erzählen (Jonathan, Dr. Seward und Mina), auch ab und zu noch andere Hinweise, die den Hauptfiguren zunächst noch unbekannt sind.
Doch alleine durch die drei großen "Hauptperspektiven" gelingt es Bram Stoker fabelhaft, Spannung aufzubauen und seiner Leserschaft Stück für Stück das Unheil zu verdeutlichen, das seine Figuren erwarten wird.
So reist man zunächst mit Jonathan nach Transsilvanien, wo man den Grafen das erste Mal trifft, doch bald schon verlagert sich die Handlung nach England, wo sich mysteriöse Dinge abspielen, die Jonathan vielleicht erklären könnte, wüsste er davon. Doch da diese Handlung zunächst unabhängig von der anderen verläuft, ahnen die anderen Figuren tragischerweise noch nicht das, was die Leserschaft bereits vermutet.
Als Leser*in ist man oft den Figuren ein Stück voraus und ahnt schon, was auf sie zukommt, doch am Ende, als dann alle Figuren in etwa auf dem gleichen Wissensstand, wird man auch noch einmal richtig auf die Folter gespannt und kann mir den Charakteren mitfiebern.
Dennoch ist das Buch leider auch ab und zu von sehr langatmigen Stellen durchzogen, in denen beispielsweise Van Helsing Monologe hält oder die Figuren sich auf etwas vorbereiten. Umso überraschender kommt da das doch recht abrupte Ende, das mir etwas zu knapp gehalten war.

Unterstützt wird dieser gelungene Spannungsaufbau durch den stimmungsvollen und unheimlichen Schreibstil Bram Stokers. Der Autor versteht es, düstere Orte und gruselige Personen wie den Grafen so anschaulich zu beschreiben, dass man sich wunderbar in die Figuren und ihre Ängste hineinversetzen kann.
Auch als erfahrene Englisch-Leserin hat mich der Roman jedoch manchmal sprachlich "erschlagen", denn in Kombination mit der altmodischen Sprache und einigen ungewohnten Dialekten und Akzenten der Figuren konnten die ausführlichen Beschreibungen und Monologe mich ab und zu etwas überfordern.
Übertreiben tut Stoker es meinem Gefühl nach dafür aber mit emotionalen Situationen, denn das Buch strotzt auch nur so vor Zuneigungsbekundungen Gefühl jeder Figur gegenüber jeder anderen und ständig bricht jemand für Rührung oder Angst in Tränen aus. Selbst die "stärken Männer" sind bei Stoker extrem emotional, was für diese Zeit wohl eher ungewöhnlich gewesen sein durfte.

Die Figuren des Romans sind eine weitere große Stärke, denn sie sind alle sehr verschieden und interessant, wobei leider nicht alle Nebenfiguren so ausführlich vorgestellt werden wie andere.
Besonders positiv überrascht war ich von der Figur der Mina, einer selbstbewussten, mutigen und intelligenten Frau, die für viele Teile der Handlung sehr wichtig ist und von den männlichen Figuren dafür auch sehr wertgeschätzt wird.
Auch der kauzige Van Helsing mit seinen klugen Theorien, in die er nur selten jemanden einweiht, seinem breiten Fachwissen und seinem Hang zu komplizierten Monologen sticht natürlich heraus, und man kann gar nicht anders als seine schräge Art liebzugewinnen.
John Seward und Jonathan Harker, die zusammen mit Mina die größten Teile der Geschichte erzählen, sind da schon etwas unauffälliger, aber ebenso sympathische, mutige und intelligente Figuren, die man, nicht zuletzt aufgrund ihrer weichen Herzen, liebgewinnt.

Fasziniert war ich von den vielen Mythen um Vampire, die Bram Stoker hier zusammenträgt, wobei ich mir oft nicht sicher war, wobei es sich tatsächlich um alte - Van Helsings Behauptungen nach bis in die Antike zurückverfolgbare - Legenden handelte und wann Stoker seine eigene Fantasie mit einfließen ließ.
Einige Merkmale eines Vampirs kannte ich natürlich aus vielen anderen, modernen Geschichten, beispielsweise die Nachtaktivität, die Abscheu vor Kruzifixen und Knoblauch, die Verwandlung in Fledermäuse, das fehlende Spiegelbild und die Tatsache, dass sie mit einem Pflock durchs Herz getötet werden müssen.
Stokers Graf Dracula besitzt aber noch eine Menge zusätzliche Eigenschaften, die mir neu waren. So kann er zum Beispiel Wölfe, Ratten und Nebel kontrollieren, kein fließendes Wasser überqueren und Häuser nur dann betreten, wenn er dazu eingeladen wird.
Die Figur des Dracula überrascht immer wieder und es ist spannend mit anzusehen, wie er sich mit den anderen Figuren einen Wettstreit in Sachen Planung und Intelligenz liefert und man bis zum Schluss nicht sicher sein kann, wer hier wem einen Schritt voraus ist.

Schmunzeln kann man als moderne Leser hier auch bei einigen historisch bedingten Inkorrektheiten.
So bekommt eine Figur im Laufe des Buches beispielsweise als eine Art letzte Notfallmedizin von vier verschiedenen Leuten Bluttransfusionen, um danach sofort wieder kräftiger und gesünder zu werden. In Wahrheit wäre die Chance vermutlich hoch gewesen, dass sie stirbt, weil ihr mindestens einmal die falsche Blutgruppe verabreicht wurde.
Ein anderes Mal nimmt Doktor Seward an, eine Fledermaus sei gegen die Scheibe geflogen, weil das Licht sie verwirrt habe, wobei man heute jedoch weiß, dass Fledermäuse sich mit Ultraschall orientieren.

Fazit

"Dracula" ist ein sehr gelungener und unheimlicher Vampirroman, in dem gekonnt konstant Spannung aufgebaut wird und der durch sympathische und authentische Figuren und einen atmosphärischen Schreibstil begeistern kann.
Ab und zu liest sich das Buch jedoch auch recht kompliziert und langatmig und das Ende kam dafür eindeutig zu abrupt.
Ich vergebe 4 Sterne.