Rezension

Dunkel, brutal und blutig

Nordwasser
von Ian McGuire

Hull (meint: Kingston upon Hull), die Hafenstadt im Nordosten Englands, zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Von hier laufen die Walfangschiffe aus. Noch ist mit dem Tran ein Geschäft zu machen, aber es scheint, als ob in Kürze Petroleum und Paraffin an seine Stelle treten. Die glorreiche Zeit der Walfänger neigt sich ihrem Ende entgegen. Aber noch ist es nicht so weit.

Ian McGuire, geboren und aufgewachsen in Hull,  erzählt in seinem zweiten Roman „Nordwasser“ (zurecht nominiert für den Man Booker Prize 2016) von den Ereignissen an Bord eines Walfangschiffes auf seiner letzten Fahrt.

Die Mannschaft der „Volunteer“ setzt die Segel und macht sich auf nach Norden Richtung Polarmeer, auf eine ertragreiche Fangsaison hoffend. Mit an Bord ist Patrick Sumner, ein Militärarzt, ehemals in Indien eingesetzt, dann aber unehrenhaft entlassen, der an Land keine Anstellung mehr findet. Zur Mannschaft gehört außerdem Henry Drax, ein Harpunierer und äußerst unangenehmer Zeitgenosse, Ohne einen Funken Empathie, skrupellos, gewalttätig – ein Dreckskerl, wie er im Buch steht. Schläger, Vergewaltiger und Mörder, was uns der Autor gleich zu Beginn vor Augen führt. Und es sind diese beiden Männer, zwischen denen sich im Lauf der Handlung eine unheilvolle Beziehung entwickelt, der keiner von beiden unversehrt entkommt.

McGuire schildert den Alltag auf dem Schiff. Das blutige Handwerk des Walfangs, die elende Plackerei, der Dreck und die Brutalität hat so überhaupt nichts mit der Shanty-Gemütlichkeit der gängigen Seemannslieder zu tun. Es ist das Recht des Stärkeren, das an Bord der „Volunteer“ das Leben, aber auch das Sterben bestimmt. Man kennt diese Beschreibungen teilweise von Philbrick und Melville, wobei deren Schilderungen lange nicht so drastisch sind und von McGuire locker überboten werden. In „Nordwasser“ geht es aber nicht nur um Gut und Böse, der Roman thematisiert auch den rohen Umgang des Menschen mit dieser arktischen Unwirtlichkeit. Da werden Wale abgeschlachtet, Bären gejagt und ausgeweidet und Inuit die Kehle durchgeschnitten – just for fun. Das Walfangschiff als „closed room“, in dem das Recht des Stärkeren gilt und das einzig geltende Gesetz die Gesetzlosigkeit ist. Aber der Autor zeigt auch die Geldgier und Skrupellosigkeit der Schiffseigner, die ohne zu zögern eine  gesamte Mannschaft opfern, um letztmalig Profit aus einem dem Untergang geweihten Gewerbe zu schlagen.

Dunkel, brutal und blutig -  „Nordwasser“ ist ein beeindruckender Roman, den ich allerdings zartbesaiteten Lesern nicht empfehlen kann. Allen anderen jedoch möchte ich dieses Buch nachdrücklich ans Herz legen. Lesen Sie es, Sie werden es nicht bereuen!