Rezension

Durchwachsen

Betrunkene Bäume - Ada Dorian

Betrunkene Bäume
von Ada Dorian

Bewertet mit 3 Sternen

Zu Beginn des Romans „Betrunkene Bäume“ lernen wir Erich in jungen Jahren auf einer Expedition in den Wäldern Sibiriens kennen. Dort trifft er auf Wolodja, der ihn führen und für ihn übersetzen soll. Dieser Teil der Geschichte ist anschaulich und bildhaft geschrieben und sorgte dafür, dass ich nach der Leseprobe unbedingt weiter lesen wollte.

Nachfolgend erleben wir Erich mit über 80 Jahren als schrulligen alten Mann und erfahren, wie dem ehemaligen Wissenschaftler die Bewältigung seines Alltags zunehmend schwerer fällt. Als er immer mehr auf Hilfe angewiesen ist, organisiert ihm seine Tochter gegen seinen Willen eine unliebsame Pflegekraft. Erich wird aktiv und nimmt stattdessen Hilfe von der kürzlich in der verkommenen Nachbarwohnung untergeschlüpften noch minderjährigen Ausreißerin Katharina an.

Sie ist die erste, die er gezwungenermaßen in sein Schlafzimmergeheimnis einweiht, das bereits auf der Rückseite des Buches preisgegeben wird:

„Kraftlos ließ er sich auf die Matratze fallen und legte den Kopf auf das Kissen. Durch die weit geöffneten Fenster drang die warme, duftende Sommerluft und bewegte die Blätter über seinem Kopf. Erich schloss die Augen und lauschte für einige Sekunden dem leisen Knistern, das die Äste an der Tapete erzeugten. Der Stamm reichte bis zur Decke und sorgte dafür, dass die Krone sich fächerförmig ausbreitete. Erich liebte den Geruch der Pflanzen, er erleichterte ihm den Schlaf. Seit die Nachbarin unter ihm gefragt hatte, ob auch er ein Problem mit feuchten Decken habe, war er noch vorsichtiger geworden. Niemand sollte ihm seinen Wald nehmen. Es war alles, was er noch hatte.“

Als ich diese Passage im Buch las, war ich von der Idee verzaubert (auch wenn ich mich beherrschen musste, nicht gleich das eigene Schlafzimmer aufzuforsten). Erichs große Liebe und Besessenheit von der Wissenschaft der Bäume wird so besonders deutlich und macht sein handeln nachvollziehbarer. Auch erfahren wir in dem Buch, was es mit dem Phänomen der „Betrunkenen Bäume“ auf sich hat. Ein nicht ausuferndes, aber interessantes Detail, das als Titel des Buches überaus passend gewählt ist.

Was mit Erich zu tun hatte, konnte mich interessieren und berühren. Der Charakter ist gut ausgearbeitet und bildhaft beschrieben, ganz im Gegensatz zu Katharina, der anderen Protagonistin des Romans. Sie erscheint mir sehr klischeehaft: Eine trotzige Minderjährige, die von zu Hause ausreißt, weil sie mit der Trennung der Eltern nicht zurecht kommt und auch den Drogen nicht abgeneigt ist. Dieser Charakter bleibt ebenso flach, wie die anderen Personen, was den Gesamteindruck des Buches sehr schmälert. Der Part um Katharina konnte mich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr begeistern. Sie hebt die Verzauberung auf, die um Erichs Person geschaffen wurde. Der Roman wirkt irgendwann nur noch konstruiert, lässt alles gewollt und oberflächlich erscheinen.

Leider wird Erichs Vergangenheit erst sehr spät in diesem Buch wieder aufgegriffen und weiter erzählt. Die Stimmung des Buchanfangs kommt dann leider nicht mehr auf. Die Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit scheinen mir willkürlich gewählt und stören den Lesefluss, besonders weil beim Lesen eines neuen Kapitels oft erst spät deutlich wird, ob man sich in der Gegenwart oder in der Vergangenheit befindet.

„Betrunkene Bäume“ ist Ada Dorians Debütroman und weiß mit einigen wunderschönen Ideen und bildhaften Beschreibungen zu bezaubern, anderes hingegen ist durchaus noch ausbaufähig. Ich denke, man darf weiteren Werken der Autorin gespannt entgegensehen.