Rezension

"Egal was du tust, lass dir niemals Blut abnehmen !"

Vollkommen - Patricia Rabs

Vollkommen
von Patricia Rabs

Bewertet mit 5 Sternen

Für die 17-jährige Teresa Evans, die mit ihrer Mutter und Schwester in der Mitte lebt, gelten nur zwei Regeln:

"Meide das Labor !" und "Egal was du tust, lass dir niemals Blut abnehmen !".

Als sie ihren Freund Lucas, der im Gegensatz zu ihr zur Spende zugelassen wurde was ihm einen sozialen Aufstieg vom Rand, an dem nur die Ärmsten leben, in die Mitte verschafft, zu seiner ersten Spende ins Labor begleitet, bricht sie beide Regeln. Um das Gebäude betreten zu können mus sie einen Tropfen ihres Blutes dort lassen. Dieser Moment ist es, der ihr Leben für immer verändert.

Denn Tess ist etwas Besonderes. Tess ist Vollkommen....

Meinung:

Patricia Rabs entführt uns mit ihrer Dystopie in eine Welt, in der alles vom Blut abhängt. Es bestimmt dein ganzes Leben. Bestehst du den Einstufungstest des Pharmagon nicht, dem sich jeder im Alter von 15 Jahren unterziehen muss, dann droht dir der soziale Abstieg an den Rand. Es bestimmt dein ganzes Leben, ob du willst oder nicht, denn seine Blutgruppe kann man leider nicht ändern.

Diese neue Idee fand ich erfrischend anders und megaspannend.
Sicher gibt es auch einige Parallelen zu anderen Dystopien, wie beispielsweise ein System das alles kontrolliert, es gibt die Menschen die man klein und auch ein Stück weit blind und dumm hält, damit sie gar nicht erst auf die Idee kommen sich aufzulehnen. Das alles gab es schon mal und doch schafft Patricia Rabs hier etwas ganz Neues und Eigenes und das liest sich wirklich großartig.
Ihr Schreibstil ist packend und sehr sehr anschaulich. Ich konnte mir diese neue Welt wirklich gut vorstellen und hatte quasi Kopfkino.

Die Geschichte beginnt recht ruhig, man bekommt erst mal einen Einblick in Teresas Leben in der Mitte und durch ihre Besuche am Rand, wo sie Kinder das Lesen lehrt, auch einen Einblick in das Leben von Lucas für den sich bald alles zum besseren wenden soll. Ab dem Moment an dem die beiden das Labor betreten ändert sich für Teresa alles, man entführt ihre Familie und ist hinter ihr her.
Ab hier nimmt die Handlung richtig Fahrt auf, die Spannung steigert sich peu à peu, es gibt immer wieder Wendungen die man so nicht kommen sieht, bis man schließlich diesen Punkt erreicht, an dem man das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann, bevor nicht auch die letzte Seite verschlungen ist.

Ein kleines Manko sind die fehlenden Hintergrundinformationen über das Pharmagon oder auch darüber wie es zur Spaltung des Landes kam, denn während die Menschen in Mitte und am Rand wirklich ein armseliges Dasein fristen, lebt der Norden quasi in Saus' und Braus. Da es sich hier um den ersten Band einer Dilogie handelt, gehe ich aber einfach davon aus, das uns Patricia im Folgeband aufklären wird, was es mit all diesen Dingen auf sich hat.

Zu den Protagonisten:

Mit Tess erleben wir endlich mal eine Protagonistin, die nicht mutig und tapfer in den Krieg gegen ein undurchdringliches System zieht. Sie möchte einen Kampf um jeden Preis verhindern und die schützen die sie liebt, mehr will sie gar nicht. Die Vorstellung einer Schlacht in der vielleicht Bomben fallen könnten widerstrebt ihr komplett. Sie ist hilflos, weil man ihr eine Entscheidung überlässt, die das Leben aller bestimmt, die ihr wichtig sind, das versetzt sie immer wieder in einen inneren Zwiespalt und kann manchmal ein bisschen nerven. Vorallem dann, wenn sie abwägt was für ihre Freunde besser ist. Man könnte das freilich als "selbstlos" bezeichnen, aber in Wirklichkeit ist es etwas naiv, da sie sich selbst immer wieder zurückstellt und vergisst. Das sie oft manche Dinge nicht versteht und immer wieder nachfragen muss oder falsche Entscheidungen trifft, ist für mich als Leser zwar ein bisschen zermürbend, aber auch nachvollziehbar, da sie es einfach nicht besser weiß. Man hat sie ein Leben lang über eigentlich ALLES im Unklaren gelassen.

Mir war sie von Anfang an sympathisch und ich konnte mich an manchen Stellen gut mit ihr identifizieren, weil ich oft genauso gehandelt hätte wie sie und ihre Entscheidung somit verstehen konnte.

Lucas ist ein Charakter der für mich noch nicht so ganz greifbar ist. Meine Gefühle in Bezug auf ihn schwanken immer zwischen: Ich mag ihn, ich mag ihn nicht und je weiter die Geschichte vorankommt umso weiter rückt er für mich in den Hintergrund, was nicht nur mit den blutaufbereitenden Medikamenten zusammenhägt, die er nehmen muss und die ihn verändern, sondern auch mit Beatrice , der ich übrigens von Anfang an misstrauisch gegenüber stehe, denn die versucht ihn von den anderen, ganz besonders von Tess abzuschotten.

Ganz anders ist Carter. Der ist charismatisch, witzig und bis zur letzten Seite gleichbleibend präsent. Team Carter ? Yeah, ich bin dabei. Ich mochte ihn auf Anhieb, auch wenn ich gestehen muss, das ich mir lange Zeit nicht sicher war auf welcher Seite er steht.

Es gibt jede Menge gut ausgearbeitete Nebenfiguren, die sich im Lauf der Zeit entwickeln und denen man wirklich nie in den Kopf gucken kann. Man ist sich niemals ganz sicher, wer auf welcher Seite steht und erlebt somit immer wieder Überraschungen.

Das Ende besticht nochmal durch reichlich Action, aber auch durch emotionale Momente und lässt mich sehnsuchtsvoll auf die Fortsetzung wartend zurück.  

Fazit:

Mit "Vollkommen" ist Patricia Rabs eine Dystopie gelungen, die sich durch eine neue Idee von anderen Werken dieses Genre ein Stück weit abhebt. Ein packender, sehr anschaulicher Schreibstil, eine spannende Handlung und wirklich gut ausgearbeitete Charaktere sorgen für ein echtes Leseerlebnis.

©Ina's Little Bakery