Rezension

Eigenartige Faszination

Sweetbitter - Stephanie Danler

Sweetbitter
von Stephanie Danler

Bewertet mit 4 Sternen

"Essen wird zu einer Wissenschaft, definiert durch Sprache. Nie wieder wirst du einfach Nahrung zu dir nehmen."

Eigentlich wollte Tess nicht Kellnerin werden. Sie wollte ihrer provinziellen Herkunft entkommen, in die Großstadt eintauchen und endlich herausfinden, wofür sie geschaffen ist. Doch dann landet sie in einem edlen New Yorker Restaurant und es ist wie der Eintritt in ein neues Universum, in dem ganz eigene Regeln und Gesetze herrschen, in dem der falsche Wein im falschen Moment zum Verhängnis werden kann. Oder die Ignoranz gegenüber der Einzigartigkeit einer Auster.
Sweetbitter ist ein großer Roman über den Genuss und die Obsession – darüber, dass man manchmal besessen sein muss, um wirklich genießen zu können.

Dieses Buch hat mir einiges abverlangt. Ich bin noch immer ziemlich ambivalent, ob ich es mochte oder nicht. Einerseits konnte ich zu keiner Person Nähe aufbauen und ich werde nach Beendigung des Buches keine einzige Person vermissen, anderseits habe ich mich mit diesem Buch wirklich so intensiv auseinandergesetzt wie schon lange nicht mehr.

Ich habe mir nach dem Klappentext etwas ganz anderes erwartet, aber wir wissen ja, wer erwartet, der wartet. „Und während wir warten, passiert das Leben.“

Der Klappentext verspricht ein Buch über Genuss und das Schmecken. Ein Versprechen, das meiner Meinung nach nur bedingt hält. Es gibt ganz wunderbare Einschübe zum Anfang des Buches, in denen die Geschmacksrichtungen beschrieben werden, sauer, salzig, süß, bitter, und dann noch umami. Das konnte ich mir beim Lesen wirklich auf der Zunge zergehen lassen.

So viele Namen, so viele Jobs, ich kann zu den wenigsten in meiner Vorstellung ein Gesicht bilden. Alles dreht sich, alles bewegt sich, es brummt wie in einem Wespennest. Die Unruhe des Restaurantbetriebes spiegelt sich in der Unruhe wider.

Tomaten, Erdbeeren, Käse, Austern, Champagner und Wein, ja all das findet Platz und doch hätte ich  mir mehr Sinnliches und Hingebungsvolles zum Geschmack gewünscht. Doch letztlich geht es nicht ums Essen.

So wie ein Gast ihr Essen in einer Serviette entsorgt, nur um dabei gewesen zu sein, geht es letztlich ums Wahrgenommen werden. Die junge Ich-Erzählerin bleibt über lange Zeit namenlos, sie bleibt anfangs sehr farblos, auch gegenüber ihren  Mitmenschen nahezu unsichtbar. Man erfährt nicht viel über sie und ihre Vergangenheit.

„..eine Mutter, die fortgegangen war, bevor ich auch nur die Augen geöffnet hatte und ein Vater, der wie unsichtbar durch die Zimmer unseres Hauses schlich..“.

Doch das Gesehen werden hat ihren Preis, dabei zu sein bedeutet auch bei Alkohol und Drogen dabei zu sein. Einer engen provinziellen Umgebung entflohen, landet sie wiederum in einer Welt für sich, einer exzessiven, obsessiven Welt. Mutter- und beziehungslos aufgewachsen, sucht sie die Nähe der erfahrenen, fast verklärten Kollegin Simone und dem Barkeeper Jake, welche beide auf etwas undurchsichtige Weise stark  miteinander verbunden sind. Fast ein bisschen zu sehr klischeehaft finde ich die Entwicklungen rund um den geheimnisumwitterten Charismatiker, ist er einfach auch nur ein weiterer Bad Boy, der einer jungen unbedarften Frau zeigen darf, wo es lang geht?

Auch wenn manche Szenen in dem Buch sich mir nicht erschließen, bleibt trotzdem Faszination für dieses Buch übrig, vielleicht hängt das auch mit meinem Hang zum Bitteren zusammen. (Auf die Studie nach der angeblich  Probanden mit dunklen Persönlichkeitszügen gerne Bitteres mögen, mag ich jetzt gar nicht näher eingehen.) Aber der Weg zur Selbstfindung und Selbstbestimmung, der hier gezeichnet wird, kann eben nicht immer nur süß sein.