Rezension

Ein außergewöhnlicher Debütroman, so viel steht fest

Außer sich - Sasha Marianna Salzmann

Außer sich
von Sasha Marianna Salzmann

Bewertet mit 3 Sternen

Gebundene Ausgabe: 366 Seiten
Verlag: Suhrkamp Verlag (11. September 2017)
ISBN-13: 978-3518427620
Preis: 22,00€
auch als E-Book erhältlich

Ein außergewöhnlicher Debütroman, so viel steht fest

Ein außergewöhnlicher Debütroman, so viel steht fest. Das ist dann aber auch schon so ziemlich das Einzige, was feststeht.

Im Mittelpunkt des Romans steht Ali, eine junge Frau, die auf der Suche nach ihrem verschwundenen Zwillingsbruder Anton ist. Eine Postkarte lässt darauf schließen, dass er sich in Istanbul befinden könnte. Also reist Ali dorthin. Schnell kommen einem beim Lesen Zweifel, ob Ali nur auf der Suche nach Anton ist oder vor allem auch auf der Suche nach sich selbst. Dies zeigt sich unter anderem im Austesten verschiedener Grenzen, zum Beispiel in der Geschlechtsidentität oder beim Sex.

Ich kauerte auf diesem Ast, umklammerte meine Knie und dachte, irgendwer muss mich ganz dringend festhalten. (S. 322)

Um Alis familiäre Wurzeln zu entdecken, erzählt Salzmann in einzelnen Episoden von ihren Vorfahren, den Eltern, Großeltern und Urgroßeltern der Zwillinge. Die Eltern sind als jüdische Russen schließlich mit den Kindern nach Deutschland ausgewandert, wo sie nur schlecht Fuß fassen konnten. Auch Anton und Ali hatten zu kämpfen. Diese Kapitel in der Vergangenheit, die sich mit den Vorfahren beschäftigen, wirken zunächst etwas zusammenhanglos. Der rote Faden ist schwer zu finden. Aber wenigstens sind sie gut zu verstehen.

Dies kann man bei Alis Perspektive nicht behaupten. Ihre Kapitel wirken oft wirr und surreal. Man kann sich nicht sicher sein, ob das Erzählte tatsächlich so stattfindet, oder ob Ali sich das zusammenfantasiert, zum Beispiel, als sie in den Spiegel schaut und darin Antons Gesicht sieht.

Mit ihrem bildhaften Schreibstil konnte Sasha Marianna Salzmann mich überzeugen. Besonders in Alis Kapiteln schafft es die Autorin, eine innere Zerrissenheit und Getriebenheit allein durch die kantige Satzkonstruktion auszudrücken. Die Kapitel der Vorfahren sind dagegen ruhiger und runder geschrieben.

Inhaltlich hat mich das Buch aber nicht erreicht. Salzmann hat meines Erachtens zu viele Themen in diesen Roman gepackt und dadurch nur an der Oberfläche gekratzt. Zu sämtlichen Figuren bleibt eine enorme Distanz, was sicher auch so gewollt ist. Die beschriebene Gewalt und Hoffnungslosigkeit wäre sonst kaum zu ertragen.

Mit dem Schluss bin ich gar nicht glücklich, denn ich bin so schlau wie am Anfang des Romans. Zu vieles bleibt offen und ungelöst. Wer das mag, hat hier natürlich die Gelegenheit für eigene Interpretationen.

„Außer sich“ wurde 2017 für den Deutschen Buchpreis nominiert und hat es immerhin auf die Shortlist geschafft. Mich hat das Buch sprachlich fasziniert, inhaltlich jedoch sehr unzufrieden zurückgelassen. Liebhaber anspruchsvoller Literatur sollten sich aber am besten selbst ein Bild davon machen.

★★★☆☆

Herzlichen Dank an den Suhrkamp Verlag, der mir für die Leserunde auf LovelyBooks ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte.