Rezension

Ein 'Aussteiger' unter den Jugendbüchern

The Distance from me to you - Marina Gessner

The Distance from me to you
von Marina Gessner

Bewertet mit 4 Sternen

The Distance from me to you von Marina Gessner (Nina de Gramont) ist ein Jugendbuch, das meiner Meinung nach bewusst und gewollt mit sämtlichen Klischees anderer Jugendromane bricht.

Schauplatz ist der Appalachian Trail in den USA, den die junge Kendra nach ihrem Schulabschluss eigentlich zusammen mit ihrer Freundin bewandern wollte. Nachdem diese aber im letzten Moment einen Rückzieher macht, wagt Kendra den gefährlichen Trip alleine. Unterwegs lernt sie den etwa gleichaltrigen Sam kennen, der im Gegensatz zu Kendra aus zerrütteten Verhältnissen stammt und momentan einfach keinen anderen Ort für sich kennt als den Trail. Bald wandern die beiden gemeinsam, verlieben sich und wagen gemeinsam, von gegenseitigen Vertrauen ineinander beflügelt, zuviel - sie verlassen den Trail.

Inspiration für Kendra im Buch ist (ungenannt, aber eindeutig beschrieben) 'Der große Trip - Wild' von Cheryl Strayed, der auch mit Reese Witherspoon verfilmt wurde. Und auch an 'Into the Wild' (Krakauer), 'Picknick mit Bären' (Bryson) oder 'Ich bin dann mal weg' (Kerkeling) - alle diese Erlebnis-Tage-Wanderbücher, die in den letzten Jahren immer mal wieder auftauchen und verfilmt wurden, erinnert Gessners Roman. Wobei The Distance from me to you keinerlei reale Vorbilder hat und komplett fiktional ist. Trotzdem wirkt es ziemlich realistisch und DAS ist ja schon mal was, für ein Jugendbuch!

Normalerweise spielen diese im Fantasy-Bereich, die mutige aber etwas trottelige Protagonistin muss von einem dunklen Typen gerettet werden, mit dem sich eine (stets körperlose aber dafür sooo innige) Liebesbeziehung entwickelt und es gibt (nach 3 bis 4 Forsetzungen) ein Happy End. In diesem (in sich abgeschlossenen) Buch geht es um reale Gefahren in der Natur, die Liebe wird auch körperlich (echte Menschen halt!), ER ist nicht durchweg der strahlende Retter und das glückliche Ende bleibt offen. Deswegen bekommt dieses Buch von mir den Stempel 'Aussteiger'.

Es IST ein Jugendbuch, ganz klar, aber ein wirklich gutes, wirklich anderes. Die Heldin emanzipiert sich während ihres Abenteuers und ist zum Schluss bereit, der Welt notfalls auch alleine zu begegnen. Gleichzeitig hat sie aber auch den Wert und die große Sicherheit, die zwischenmenschliche Beziehungen bieten, zu schätzen gelernt. Insofern ist es typisch 'coming of age', aber wirklich in einer Art, wie ich es noch nicht gelesen habe. Dass die Thematik Trailwanderung nun auch einmal für diese Altesgruppe umgesetzt wurde, findet vielleicht neue Interessenten für dieses spannende Thema, eine Alternative zu Au Pair, jobben oder puren Urlaub.

Der Schreibstil ist flüssig, die Handlung spannend. Mir sind keinerlei Fehler aufgefallen, lediglich die großen Zeitsprünge im Verlauf der Geschichte haben mich verwirrt und ich habe kein Gefühl für die zeitliche Dimension der Geschichte entwickeln können. Den Mut, das Buch unter dem englischen Originaltitel auch in der deutschen Version zu verlegen, feiere ich sowieso. Ich mag halt Individualisten. ;)