Rezension

Ein beeindruckendes Zeitdokument der Nachkriegsgeschichte...

Der dritte Mann - Graham Greene

Der dritte Mann
von Graham Greene

Bewertet mit 5 Sternen

Den gleichnamigen Filmklassiker aus dem Jahr 1949 werden wohl viele kennen. In ursprünglicher Form und als Novelle aufbereitet wurde die dem Film zugrunde liegende Erzählung 1950 erstmals veröffentlicht. Greene selbst betrachtete die Filmversion des britischen Regisseurs Carol Reed aus dem Jahr 1949 als Endfassung seiner Erzählung.

Die Erzählung spielt im Wien der Nachkriegzeit, unter der Regierung der vier Siegermächte. Trotz der Besetzung durch die Russen, die Amerikaner, die Franzosen und die Briten blüht in Wien der Schwarzmarkt. Unter diesen Gegenbenheiten trifft der wenig erfolgreiche Westernautor Rollo Martins in Österreichs Hauptstadt ein, ohne Geld in der Tasche und auf Einladung seines langjährigen Freundes Harry Lime, der von seinem derzeitigen Engpass erfahren hat und ihm einen Posten anbieten will.

Gleich nach seiner Ankunft erfährt Martins jedoch, dass sein Freund verstorben ist, und kommt gerade noch rechtzeitig zu dessen Beerdigung. Zunächst als Unfall deklariert, tauchen hinsichtlich des Todes von Harry Lime jedoch schon bald Widersprüche in den Zeugenaussagen auf, die Martins misstrauisch werden lassen. Ein Katz- und Mausspiel entspinnt sich alsbald, wobei niemals sicher scheint, wem zu trauen ist und wem nicht. Den Polizeigewalten der verschiedenen Nationen wird hier ebenso Rechnung getragen wie den Tätigkeiten im Untergrund, Freundschaft und Liebe werden ebenso thematisiert wie Korruption, Verrat und Menschlichkeit.

Auch wenn Greene die Erzählung im Grunde nur verfasst hat, um anschließend das Drehbuch schreiben zu können, konnte sie mich doch in vielerlei Hinsicht beeindrucken. So skizziert sie nahezu greifbar die düstere Atmosphäre der Nachkriegszeit, was in dieser ausgesprochen liebevoll gestalteten Ausgabe noch überaus eindrucksvoll unterstrichen wird durch die zahlreichen in Sepia gehaltenen Tuschezeichnungen der Hamburger Künstlerin Annika Siems. Ähnlich wie im Film findet sich in ihren Bildern ein gekonntes Spiel mit Licht und langen Schatten. Zeitweise fühlte ich mich an eine Graphic Novel erinnert, und auch wenn der Vergleich hinkt, nehmen die Illustrationen hier immerhin einen großen Raum ein und unterstreichen die düstere Atmosphäre der Erzählung ganz hervorragend! Hier bilden Text und Zeichnungen eine absolut stimmige Einheit.

Intensiver als im Film wird im Roman auf die Zusammenhänge der Ereignisse mit den spezifischen Bedingungen im Wien der Nachkriegszeit eingegangen, so dass sich mir diese eingängig erschlossen. Dadurch empfand ich diesen Roman nicht nur als eine spannende Erzählung sondern wenigstens genauso als grandioses Zeitdokument der Nachkriegsgeschichte. Während der Film sicher durch eine gelungene Regie und Kameraführung punkten kann, sowie durch seine Besetzung mit Orson Welles und das charakteristische musikalische Thema (das ich übrigens seit Tagen als Ohrwurm nicht mehr loswerde), besticht der Roman durch eine größere erzählerische Tiefe sowie zu meinem Erstaunen auch durch einen immer wieder geschickt pointierten schwarzen Humor. Roman und Film stimmen nicht in allen Punkten überein, und welche Version einem besser gefällt, ist sicher Geschmackssache. Insgesamt fand ich die Erzählung selbst versöhnlicher als den Film.

Tatsache ist: beides lohnt sich - der Film ebenso wie der Roman selbst. Und mit dieser prachtvollen Ausgabe der Editon Büchergilde holt man sich ein wahres Schmuckstück ins Regal. Wer hier alle für meine Verhältnisse ungewöhnlich häufig verwendeten Lobeshymnen zusammenzählt, der ahnt schon: von mir kann es hier nur die Höchstwertung geben...

© Parden