Rezension

Ein Buch, das bereichert

Das Traumbuch - Nina George

Das Traumbuch
von Nina George

Nina George geht über die Grenzen hinaus, die wir uns selber setzen

Nina George greift in Das Traumbuch einen emotional zerreißenden Konflikt auf: das Koma eines geliebten Menschen. Aus medizinischer Sicht scheint klar: Es ist der Zustand eines ungeregelten Bewusstseinsverlustes.

Im Roman erklärt der Arzt Dr. Saul – er hat den Spitznamen Gott – das Koma anhand eines Modells konzentrischer Kreise, in dessen Mitte er „wach“ und in die anderen von innen nach außen er Benommenheit, Schlaf und Traum, Bewusstlosigkeit, Koma und Tod schreibt. Er kreuzt die Zustände an, in denen Henri war. Das aktuelle Kreuzchen setzt er neben Koma … zu dicht am Rand, viel zu dicht am Tod. Da flüstert Henris Sohn Sam: „Es sind Orte, nicht Zustände.“ (S. 85)

An diese Orte in den unbekannten Welten zwischen Leben und Tod, Realität und Traum, führt Nina George in diesem aufwühlend schönen Roman. Sie geht schlicht über die Grenzen hinaus, die wir uns selber setzen. Sie erzählt mit so viel Liebe und schonungslos real. Wie Henri und Eddie wieder zueinander finden, wie Vater und Sohn ihre Seelenverwandtschaft erkunden, wie die große Liebe zu Sam kommt.

Das Buch ist eng mit Nina Georges eigener Biografie verknüpft. Den plötzliche Verlust ihres eigenen Vaters, eines der einschneidendsten Erlebnisse ihres Lebens, verarbeitet sie im Themenzyklus der Endlichkeit und schließt ihn mit diesem Roman.

Mein Fazit:

Das Traumbuch ist ein sinnliches Buch. Einer gewaltigen Trommel gleich wirbelt es die Gefühle des Lesers auf und durcheinander, damit sie sich neu sortieren können. Ich habe geschmunzelt, konzentriert gelesen, laut aufgelacht und ungeweinte Tränen endlich geweint. Ich habe eine der schönsten Liebesszenen in diesem Buch entdeckt.

Das Traumbuch ist auch ein Buch über die Liebe. Der zwischen Menschen und der zum Leben.

Das Traumbuch vermittelt Wissen über den schwer zu fassenden „Ort“ Koma und portraitiert Ärzte wie Pfleger in ganz besonderer Weise.

Das Traumbuch verändert den Blick auf das eigene Leben. Wenigstens mir geht es so.

Das Traumbuch in der gebundenen Ausgabe liegt federleicht in der Hand, mein haptischer Genuss.

Das Traumbuch offenbart Nina Georges Sprachgewalt.

Selten, sehr selten sehe ich das geschriebene Wort so wirkungsvoll gestaltet:

„Eddie ist das Beste, das mir nie passiert ist.“ (S. 12)

„So ist das mit dem Schmerz, er reagiert auf bestimmte Wörter wie ein Zirkustier auf Befehle.“ (S. 121)

S. 215 – eine der schönsten Liebesszenen meiner Lesekarriere …

Meine Bewertung:

5 Sterne – genauer gesagt 6 Sterne von 5

Kommentare

Brocéliande kommentierte am 06. April 2016 um 20:53

Schöne Rezi, das noch mehr Leselust auf dieses Buch einer meiner Lieblingsautorinnen macht: Vielen Dank!