Rezension

Ein Buch der stillen Töne, bei dem mir etwas die Nähe fehlte

Acht Berge - Paolo Cognetti

Acht Berge
von Paolo Cognetti

Bewertet mit 4 Sternen

Mein Sommer, mein Freund, meine Berge

„Denn ein Ort bewahrt immer auch die eigene Geschichte, damit man sie bei jedem Besuch aufs Neue Revue passieren lassen kann. Und solche Berge kann es nur einmal im Leben geben. Im Vergleich dazu sind alle anderen bedeutungslos, sogar der Himalaja.“

 

Inhalt

 

Pietro und Bruno lernen sich als Heranwachsende in den Alpen kennen, während der erste jedes Jahr mit seinen Eltern den Sommer in den Bergen und die restlichen Jahreszeiten in der Stadt verbringt, lebt Zweiterer immer dort und wächst als Sohn eines Bergbauern auf. Gemeinsam erkunden sie die Natur, unternehmen Ausflüge auf die Berge und teilen Geheimnisse. Bruno ist unschlagbar, was die Ortskenntnis und das Verhalten der Natur betrifft und Pietro hat immer wieder neue Ideen, so dass ihre Freundschaft, wenn auch zeitlich begrenzt jedes Jahr in eine neue Spielzeit wechselt und nicht abbricht. Doch Pietro beginnt ein Studium, zieht nach Turin, lebt in Mailand und führt als junger Mann ein allzu städtisches Leben, während Bruno eine klassische Maurerausbildung absolviert und seine Heimat nicht verlässt. Als Pietros Vater stirbt und ihm eine Schutzhütte in den Bergen von Grana vermacht, finden die beiden erneut zueinander. Denn Pietro möchte die Hütte gerne bewohnbar machen und Bruno weiß, wie das geht. Noch einmal verbringen sie viel Zeit gemeinsam und müssen doch erkennen, dass jeder ein eigenes Leben hat und ganz andere Ansprüche an die Menschen stellt …

 

Meinung

 

Dieses Buch prägt nicht nur ein ganz besonders stimmungsvolles Coverbild und ein interessanter Titel sondern es verspricht auch eine Antwort auf eine philosophische Lebensfrage: Ist es besser dort zu bleiben, wo man alles kennt oder liegt der größte Nutzen darin, sich ins Ungewisse zu wagen und Neuland zu erschließen. Der Leser begegnet in diesem italienischen Bestsellerroman, der sich allein in seinem Heimatland mehr als 70.000 mal verkauft hat zwei Freunden, die versuchen einen richtigen Weg zu finden, jeder für sich erkennt, was ihn ausmacht und muss gleichzeitig Abschied nehmen, von dem was er nicht vermag, obwohl ein Gefühl der Unzulänglichkeit dadurch bestehen bleibt.

 

Sehr positiv aufgefallen ist mir das ausführliche Vorwort zum Roman, in dem man nicht nur ein Interview mit dem Autor präsentiert bekommt, sondern auch erfährt, wie viel Wahrheitsgehalt in der folgenden Erzählung steckt und welche Handlungsschwerpunkte gesetzt werden. Eine wirklich gelungene Einführung in die Thematik Mensch und Natur, Selbstfindung und Abgrenzung, Gemeinschaft und Alleinsein.

 

Der Autor arbeitet intensiv an seinen beiden Hauptcharakteren, er beschränkt sich nicht nur auf die Schilderung ihrer jeweiligen Lebensumstände, sondern grenzt sie deutlich voneinander ab. Er beschwört eine Männerfreundschaft herauf, die kontinuierlich gewachsen ist und auch von Rückschlägen nicht außer Kraft gesetzt wird. Trotzdem legt er besonderes Augenmerk auf die Entwicklung des Individuums, zeigt wie Herzen, die einst im gleichen Takt geschlagen haben, nun eher holprig nebeneinander schlagen. Werte wie Lebenserfahrung, persönliche Einsichten, differenzierte Wahrnehmung nehmen einen immer größeren Stellenwert ein, so dass der Leser zwei sehr unterschiedliche Männer vorfindet, die zwar eine gemeinsame Vergangenheit haben, denen es aber nur mäßig gut gelingt, ihre Unvoreingenommenheit aus jungen Jahren in ihre Gemeinschaft der Gegenwart mitzunehmen.  

 

Es ist ein Buch der leisen Töne, unaufgeregt und beständig, mit wenig Spannung und seltenen Highlights. Damit fügt sich die Erzählung fast unsichtbar in die heraufbeschworene Bergwelt ein, eine Natur voller schroffer Felsen, endloser Schneefelder und saftiger Wiesen. Unantastbar, majestätisch und über alles Irdische erhaben. Menschen werden wieder klein im Angesicht der Bergwelt und sind nur winzige Rädchen im großen Getriebe. Und so wie sich der Bergbach über die Jahre verändert, tun es auch die Menschen – manchmal mit Getöse, meist jedoch im Vorbeigehen ohne genau sagen zu können, warum derjenige genau an dieser Stelle in ebenjene Richtung gegangen ist.

 

Kritikpunkt

 

Was mir an diesem naturinspirierten Roman gefehlt hat, waren eindeutig die Emotionen, das Zwischenmenschliche, die Gespräche, die Nähe mittels Worten. Dadurch, dass man die Charaktere nur in ihren Handlungen beobachten kann, war es mir nicht möglich eine echte Bindung zu ihnen aufzubauen. Zu vieles bleibt ungesagt, weil es nie angesprochen wurde. Es gibt kaum Streit, keine Versöhnung, keine Aufregung, kein echtes Gefühl zwischen den Protagonisten. Meist schweigen sie sich an und versuchen durch ihre Handlungen etwas auszudrücken. In der Realität mag das vielleicht funktionieren, doch in einem Roman, der sich mit Freundschaft auseinandersetzt, war es mir eindeutig zu wenig.

 

Paolo Cognetti schafft es dennoch einen aussagekräftigen Roman zu schreiben, der einfach und beständig daherkommt und viele Werte aufnimmt, sie aus diversen Perspektiven betrachtet und ein abschließendes Urteil fällt. Mit diesem Buch schließt sich ein Kreis, zeigt sich der Lauf des Lebens, die verschlungenen Pfade der Menschen und die Unabänderlichkeit des Einzelnen. Man kann sich anpassen, sich verbiegen oder ausbrechen, kann suchen oder akzeptieren, kann neugierig bleiben oder in sich ruhen – man wird einander nicht ändern, auch wenn das bedeutet sich irgendwann fremder zu werden und allein weiterzugehen, wenn eine allumfassende Gemeinsamkeit nicht mehr möglich scheint.

 

Fazit

 

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen ruhigen, naturverbundenen Roman, in dem Menschen agieren, deren Liebe zur Bergwelt ganz elementar und umfassend ist und die sich in Hochgebirgen bewegen wie die dort lebenden Zeitgenossen – einsam, schweigsam, zufrieden, genügsam und auf dem Sprung, immer auf der Suche nach einem guten Versteck vor sich selbst und der Kraft der Natur. Wenn man mit etwas weniger Zwischenmenschlichkeit leben kann und sich in eine Szenerie hineinversetzen möchte, ist dieses Buch sehr empfehlenswert, wer mehr Gefühlsnähe sucht, könnte etwas enttäuscht werden.