Rezension

Ein Buch über die Vergänglichkeit von Schönheit

Pfaueninsel - Thomas Hettche

Pfaueninsel
von Thomas Hettche

Den Rahmen für diese Geschichte bildet Geburt und Tod von Marie, dem kleinwüchsigen Schloßfräulein der Pfaueninsel. Die Handlung spielt etwa von 1810 bis 1880 und umfasst die stärksten Veränderungen im Aussehen und Nutzen der kleinen Insel in der Havel. Gemeinsam mit ihrem Bruder Christian ist Marie in jungen Jahren auf die Insel gebracht worden und hat sie nur einmal im hohen Alter für eine kurze Reise nach Berlin verlassen. Durch ihre Augen erlebt man den Wandel der verwilderten und kaum berührten Insel zu einem durch Hofgärtner in ein exotisches Kuriosum verwandeltes Reich voller Tiere und Pflanzen aus allen Gegenden der Welt. Auch Menschen mit exotischem Touch, Riesen, dunkle Wilde und eben Marie und ihr Bruder als Zwerge werden Teil dieser artifiziellen und betont künstlichen Welt.
Die Hochzeit der Pfaueninsel ist zugleich Spiegel der Zeit und doch losgelöst davon: Für den Preußischen Hof ist sie eine Flucht von der Gegenwart. Ein Sehnsuchtsort für die Könige, Königinnen, Mätressen und Prinzen des Preußischen Hofes. Gleichzeitig spiegelt sie umso stärker den Wunsch nach Kontrolle und Ordnung wider: Löwen, Kängurus und Elche gehen immer wieder ein und werden direkt wieder ersetzt. Blumen müssen unter enormem Arbeitsaufwand künstlich am Blühen gehalten werden und die Bewohner der Insel versuchen jeder auf seine Weise mit seiner Rolle und der erdrückend künstlichen Umgebung umzugehen. Dass hier natürliche Beziehungen gedeihen können, erscheint quasi unmöglich.

Hettche wählt eine seltsam artifiziell anmutende Sprache, bestückt mit historischen Begriffen, gestelzten Satzkonstruktionen und zugleich – etwas irritierend und doch eigen – Verweisen auf die Gegenwart.
Die Sprache ist behäbig, zuweilen schleppend, was mir einige Male etwas zu langweilig und künstlich erschien. Umso begeisterter war ich von dem einzigen Ausflug Maries nach Berlin und das damit verbundene erhöhte Tempo. Der Stil nimmt zügige, leicht berlinernde Züge an. Ich habe diese Episode quasi eingeatmet, so gut tat mir die Beschleunigung.
Dass die Geschichte sehr eng an enthaltenen Dokumenten und Fakten aufgebaut ist, wird immer wieder durch Verweise auf eben diese deutlich. Rechnungsbelege, Urteile, Briefwechsel, Anstellungsunterlagen und Inventurlisten werden ausführlich zitiert und ergänzen die Erlebniswelt der Marie, sind neutraler Kommentar der Entwicklungen. An einigen Stellen scheinen die Dokumente und Anekdoten jedoch wenig notwenig, der Erzähler sagt selbst, dass sie es nicht sind – warum werden sie dann doch genannt? Die Handlung wird mehrmals unterbrochen um Ereignisse zu nennen, die ausdrücklich nicht von Belang sind – was mir durchaus übel aufstieß. Ist es der Wunsch des Autors nach Anerkennung seiner Rechercheleistung? Für mich hätte hier ruhig ein Lektor kritisch eingreifen können.

Die Figur der Marie ist faszinierend, sie wächst in dieser Scheinwelt auf, ist in ihr als scheinbar einzige fest verwurzelt. Ihre tragische Liebe und ihre Sehnsucht nach Normalität stehen im Kontrast zu ihrer engen Identifikation mit der Pfaueninsel. Sie ist den Königen gern zu Diensten, gern das Schlossfräulein, und zugleich hasst sie das Gefühl, nur eine Statistin sein zu dürfen. Ihre Sorgen und Hoffnungen haben mich tief bewegt. Dem Autor gelingt es auf außergewöhnliche Weise, die Entwicklung der jungen, hoffnungsvollen Frau bis hin zur gebrochenen, kranken Greisin in feine, sensible Worte zu fassen.

Fazit: Selten hat sich ein Buch so sehr einer Bewertung entzogen. Ich bin hingerissen, angeödet und ein wenig geschockt worden. Die streckenweise Langatmigkeit ist eindeutig Stilmittel und künstlerischer Ausdruck – kann man es dem Autor dann zum Vorwurf machen? Muss ein Buch immer gefällig sein? Nein, natürlich nicht, aber es gab Abschnitte, die unnötig, belanglos waren und den eh schon etwas schleppenden Erzählstil unterbrochen haben. Die einzigartige Figur der Marie ist die Lektüre aber absolut wert gewesen.