Rezension

Ein enttäuschendes Finale

Die Geschichte des verlorenen Kindes. 2 MP3-CDs - Elena Ferrante

Die Geschichte des verlorenen Kindes. 2 MP3-CDs
von Elena Ferrante

Bewertet mit 3 Sternen

Das lang ersehnte Finale ist da und ich habe mich sofort auf den letzten Band gestürzt. Ich wollte endlich wissen wie die Geschichte um Lila und Elena endet und hoffte auf das Lüften des Geheimnisses um Lilas Verschwinden aus Band 1. Sie ist weg und hat es geschafft sich auzulöschen, so, wie sie es sich mehrmals im Laufe der vielen letzten Jahre gewünscht hat. Als wäre sie nie dagewesen.

Elena hat es endlich geschafft, mit Nino, der Liebe ihres Lebens, einen neuen Lebensabschnitt zu wagen. Sie verlässt ihren Ehemann und das geordnete Leben als Frau des geschätzten Professors Pietro Airota und geht zurück nach Neapel. Doch ganz in den Rione zurück traut sie sich nicht, will sie doch nicht all die Schritte wieder zurückgehen, die sie von dort aus mühselig rausgemacht hat. Schnell aber wird ihr klar, dass Ninos Vorstellung von einem gemeinsamen Leben mit der ihren nicht übereinstimmt. Sie ist jetzt eine angesehene Schirftstellerin, doch es ist ein immerwährender Kampf ihren Beruf, ihr Ansehen und das Muttersein in Einklang zu bringen. Am glücklichsten ist sie, wenn sie sich in ihrem Erfolg suhlen und auf Lesereisen ihre Bücher vorstellen kann.

Das alles unter einen Hut zu bringen, geht nur durch Lila. Beide Frauen finden wieder zu einem engeren Freundschaftsverhältnis zurück. Lila, jetzt eine angesehene und geschätzte Frau im Rione, die mit Enzo ihr eigenes IT-Unternehmen gegründet hat und vielen Menschen nun einen Arbeitsplatz bieten kann. Sie wird das Gegenstück zu den Solaras, denen sie immer mehr ein Dorn im Auge wird. Und dennoch bleibt diese Freundschaft eine Hass-Liebe, in der Elena ihr ganzes Leben sich mit Komplexen herumplagt und stets gegen ihr minderwertiges Selbstvertgefühl ankämpfen muss. Sie, die eine höhere Bildung als Lila genossen hat, Bücher schrieb, die ihr über Italien hinaus Erfolge beschert haben, sich für Frauenrechte einsetzte und ein befreites und eigenbestimmtes Leben hatte, fühlte sie immer unter den intensiven Blicken Lilas und ihren Erfolgen und Errungenschaften, ihr nicht ebenbürtig. 

Dieses Hin und Her strapazierte schwer meine Nerven. Trotz des älter werdens, an Reife gewonnen und Höhen und Tiefen erlebt zu haben, scheinen beide Frauen ihr ursprüngliches Muster nicht durchbrechen zu können. Elena, die Ruhm und Erfolg hinterherstrebt, um sich aus dem Rione und ihrer Herkunft herauszuheben und Lila, immer im Kampf gegen sich und alle anderen um sich herum. Alles, was sie tut, macht sie aus einer bestimmten Berechnung heraus und um anders zu sein, wegen dem Willen anders zu sein.

Dieser letzte Teil umfasst die Mitte der siebziger Jahre bis in die Gegenwart. Elena Ferrante streift die politische Lage im Land,  die Kommunisten, Korruption sowie Mafia und organisierte Kriminalität als auch das schwere Erdbeben von 1980, in dem viele Menschen ums Leben kamen. Auch Lila und Elena erleben und überleben dieses Erdbeben. Dabei zeigt die Autorin den eigentlichen Charakter beider Figuren, der aber vom Alltag und den Lebensumständen stets verdeckt wird: In Notsituationen ist Elena stark und behält den Überblick und ihren Glauben an sich. Lila dagegen wird hilflos, zerrüttet und psychisch instabil.

Sprachlich ist das Buch keine hohe Kunst und eher trivial, entgleist oft durch die Situation, den Zeitgeist und das Setting des Rione. Zeitlich gesehen macht die Autorin im letzten Band größere Sprünge. Es passiert jedoch so viel, dessen Notwendigkeit für die Geschichte sich mir nicht immer erschließt. Es füllte das Buch und zum ersten mal fühlte ich Längen im Buch, die ich sehr gerne übersprungen hätte.

Das Ende jedoch enttäuschte dann auf ganzer Linie. Die groß aufgebaute Spannung über Lilas Verschwinden und die Erwartung einer genialen Auflösung verpuffte. Elena Ferrante verspielte m.M.n. das Potential des letzten Bandes. Das viele Gerede und die Aufreibung ihrer Figuren konnte mich letztendlich nicht mehr überzeugen.

Zum Hörbuch:
Die Neapolitanische Saga und Eva Mattes sind für mich ganz eng miteinander verbunden. Auch im letzten Hörbuch bleibt sich die Sprecherin treu und schafft es wieder einmal, Figuren sowie Setting vor meinem inneren Auge lebendig werden zu lassen. Die Saga als Hörbuch war ein großer Hörgenuss und absolut emfehlenswert! 

Fazit:
Ich bleibe etwas enttäuscht zurück, denn aus dem Beginn der grandiosen Saga ist am Schluss "nur" noch ein guter letzter Band geblieben, der, wäre er der Auftakt gewesen, mich als Leserin nicht bis zum letzten Teil hätte fesseln können. Es war schön, Italiens Geschichte, insbesondere die von Neapel, durch die lebenslange Freudschaft zweier Frauen zu begleiten und zu erkunden. Vieles war neu für mich und einiges deckte sich mit meinem Wissen. Es ist und bleibt eine besondere Saga, die leider im Abschlussband etwas an Spannung und Charme eingebüßt hat.