Ein fliehendes Pferd – ein fliehender Mann
Bewertet mit 4 Sternen
Helmut liebt die Gewohnheit, mietet er nun schon seit 11 Jahren für sich und seine Frau Sabine immer dieselbe Ferienwohnung am Bodensee. Während Helmut sehr verdrießlich und auch verschlossen ist, liebt Sabine es, „Leute zu beobachten“. Das wiederum passt Helmut nicht; er versucht sich grundsätzlich immer so zu geben, wie es – seiner Meinung nach – die Menschen in seiner Umgebung von ihm erwarten: muffeliger Oberstudienrat, dessen Leben einem gewissen Trott folgt.
Ganz anders Klaus Buch und dessen zweite, 18 Jahre jüngere Frau Hel (Helene). Die beiden machen seit einigen Jahren ebenfalls im gleichen Ort Urlaub, doch sind die Paare sich nie begegnet. Helmut und Klaus haben sich mehr als 20 Jahre nicht mehr gesehen. Klaus und Hel scheinen das Leben in vollen Zügen zu geniessen, was Helmut noch verdrießlicher macht. Noch mehr ärgert er sich, als Klaus alte Geschichten über Helmut zum Besten gibt, die dieser am liebsten vergessen möchte. Aber Helmut lacht zu diesen Geschichten, weil er glaubt, alle erwarten das von ihm; innerlich ärgert ihn das „Geschwätz“ von Klaus jedoch mächtig.
Eine Begebenheit während des nun gemeinsam verbrachten Urlaubs führt möglicherweise zum Titel, den Walser diesem Buch gegeben hat: Während einer Wanderung begegnet ihnen ein durchgegangenes/fliehendes Pferd. Während Helmut das ganze mit stoischer Ruhe beobachtet, macht Klaus sich daran, das Pferd einzufangen – was ihm auch gelingt. Klaus scheint alles zu gelingen was er anfasst – Helmut scheint nichts zu gelingen, weil er gar nichts mehr anfassen will. So könnte das fliehende Pferd sich auch auf den fliehenden Mann, Helmut, beziehen. In dieser Novelle sind mit Helmut sicher auch andere Menschen beschrieben, die uns auch in unserem Umfeld begegnen können oder begegnet sind.
Mit 160 Seiten eine kurze Geschichte, in die der Autor jedoch sehr viele Emotionen gepackt hat. Meine Wertung: 4 Sterne