Rezension

Ein großartiges literarisch-bibliophiles Meisterwerk über das Böse, opulent, wortgewaltig, tiefgründig

Unter der Haut - Gunnar Kaiser

Unter der Haut
von Gunnar Kaiser

Bewertet mit 5 Sternen

Für mich ist es eines der großartigsten Bücher der letzten Jahre, die Geschichte eines kultivierten Serienmörders, eine Schilderung von Obsessionen verschiedenster Art, spannend und atmosphärisch dicht erzählt, in meisterhaft bildreicher Sprache, sehr bibliophil.

Das Cover in hellem Braun wie zartes Leder mit Regentropfen, der Titel eingeschnitten, darunter schimmert es rot, ein Schädelbild, rohes Fleisch wie aus einem anatomischen Lehrbuch, visuelle Andeutungen.

Zwei Geschichten ranken sich umeinander, unterlegt von Zeitgeschichte, das kleine beschauliche Weimar, das pulsierende Berlin zwischen den Kriegen, aufkommender Antisemitismus und Judenhass, das New York der zu Ende gehende 60er Jahre.

"Ich wanderte durch die Straßen und verschwendete mein Leben, als wäre ich unsterblich." (9)

Der 20-jährige, unerfahrene Jonathan Rosen, Literaturstudent, trifft den bibliophilen Dandy Josef Eisenstein, beide Juden, beide deutschstämmig. Es entwickelt sich eine schwer zu durchschauende Beziehung. Fast wage ich es nicht, sie Freundschaft zu nennen, denn Jonathan erfährt nicht wirklich etwas über Josef, über dem eine Aura des Geheimnisvollen, vielleicht sogar Bedrohlichen liegt. Mädchen spielen eine große Rolle, erster Sex, nach dem Jonathan giert und bei dem er Eisenstein zuschauen lässt. Der scheint kein Mädchen, keine Frau anzurühren, sondern sich mit der Rolle des Voyeurs zufrieden zu geben, der sich danach noch alles in Einzelheiten berichten lässt. Dabei geht es aber niemals primitiv zu, sondern eher poetisch, mit literarischen Anspielungen gespickt.

In diesem heißen New Yorker Sommer geht ein Serienmörder um, der junge, schöne Mädchen häutet und sie dann in den Fluss wirft. Der Leser erfährt bald mehr und auch die Lebensgeschichte des Josef Eisenstein wird erzählt, die vieles erklärt, wenn auch nicht entschuldigt.

Das Grausame ist zwar Bestandteil des Buches, wird aber nie um seiner selbst willen dargestellt. Es gibt viele literarische Bezüge, vor allem erinnert einiges an 'Das Parfüm', an die Bestie Grenouille, der alles für seine Düfte tat.

Dies ist wieder ein Buch, das man langsam lesen muss, sicher auch zweimal. Vieles wird nur angedeutet, manches muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, köstliche kleine Leckerbissen sprachlicher und gedanklicher Art, auch die Atmosphäre der jeweiligen Orte.

Der Autor selbst scheint nicht nur Bücher über alles zu lieben, sondern auch das Spielen mit Sprache, mit Alliterationen und Aufzählungen, die sich zu Mosaikbildern eines Ortes, einer Situation zusammenfügen. Die Sprache, die er für Eisensteins Lebensgeschichte benutzt, klingt altmodischer als die des Ich-Erzählers Jonathan.

Es geht um die Herstellung von Büchern, was aber nie langweilig ist und um Bibliophile, die alles für besondere Bücher tun oder zahlen. Nicht das Innere, das Wort, ist ihnen wichtig, sondern allein das Äußere und das Besitzenwollen, Sammler eben.

"Sie waren Bücherfresser und Papiersäufer, sie sammelten, um zu besitzen."

Am Ende bleibt viel Raum für Vermutungen und zum Nachdenken.

Wer den Trailer zum Buch mit nostalgischen Fotos vom New York der 60er sehen möchte, hier entlang: https://youtu.be/R54R0x5fblk (kurz), eine etwas längere Lesung, ebenfalls stimmungsvoll mit alten Fotos untermalt: https://youtu.be/nzVa1CHIC58

Der Autor ist im Internet sehr präsent – wann er denn mal schlafe, wurde er in einem Interview gefragt ;-)

Die Webseite von Gunnar Kaiser: https://www.gunnarkaiser.de/

Sein Blog 'Philosophisch leben': https://philosophischleben.wordpress.com/

Kaiser-TV: https://kaisertv.de

Der Kaffeehaussitzer über das Buch: http://kaffeehaussitzer.de/blogbuster-wettbewerb-preis-der-literaturblog...

Ein interessantes Interview: http://www.fnp.de/nachrichten/kultur/Frag-dich-was-du-selbst-lesen-wills...

Melanie Raabe interviewt Gunnar Kaiser: https://biographilia.com/2017/01/26/gunnar-40-koeln/