Rezension

Ein guter Frauenroman. Authentische Geschichte, überlebensgroße Figuren.

Wenn ich jetzt nicht gehe - María Dueñas

Wenn ich jetzt nicht gehe
von María Dueñas

Bewertet mit 3 Sternen

Wer Familiengeschichten mit ihren alten Geheimnissen liebt, wird hier fündig.

„Wenn ich jetzt nicht gehe“ ist ein guter Frauenroman, bei dem insb. die überlebensgroßen Figuren und die authentische Geschichte vorteilhaft ins Gewicht fallen.

Der deutsche Titel erscheint mir glücklicher gewählt als der Originaltitel „La Templanza“ (Die Mäßigung). Das Coverbild ist ein wahrer Hingucker und passt wunderbar zum Inhalt.

Der Einstieg fiel mir aber nicht leicht. Die Bilder der Armut und Elend im mexikanischen Hinterland des 19 Jh. konnten mich kaum packen. Da wurde zwar auf Mitleid plädiert, aber so recht überzeugen konnte mich das alles nicht. Solche Stellen gab es auch im weiteren Verlauf des Romans, wie z.B. die Schilderung des Billardspiels: klobig, gewollt, sprachlich eher holprig. Das Plappern des allwissenden Erzählers, der mal aus Mauros mal aus der Perspektive seines Gegners etliche Erklärungen losließ, half auch kaum weiter. Einzig die gut eingebauten überraschenden Wendungen retteten oft das Ganze und ließen weiterlesen. Nach etwa 80 Seiten kam die Geschichte in Bewegung. Mauro, der mit Silberminen als junger Mann reich geworden war und nun Jahre später sein Hab und Gut wieder verkaufen und seine schwangere Tochter bei ihrer neuen Familie zurücklassen musste, erreichte Havanna in der Hoffnung, zu Geld zu kommen, um sein Kredit wieder zurückzahlen zu können. Obwohl er gleich zwei Optionen angeboten bekam, nahmen seine Abenteuer eine ganz andere Wendung. Weitere Reise führte ihn nach Jerez, Andalusien, wo er ein Weingut und das dazugehörige Anwesen verkaufen wollte. Er plante bloß Geld zu machen und wieder zu seinem alten Leben zurückzukehren. Sein Schicksal wollte es aber anders.

Die Verwicklungen in Jerez, angereichert mit Familiengeschichte des alten Winzerclans, fand ich authentisch. Mir war aber die Handlung etwas zu konstruiert, eindimensional, manches unglaubwürdig. Man ist immer in einem Handlungsstrang beim Mauro, der versucht, in der Fremde Probleme zu bewältigen und im Leben wieder Fuss zu fassen. Im Großen und Ganzen war der Ausgang der Story doch recht voraussehbar.

Die Geschichte las sich sonst ganz gut, wären da nicht diese viele unnötige Erklärungen und behauptete Emotionen. Es war leider oft so, dass kaum ein Dialog/ eine Szene angefangen hatte, schon sprang die allwissende Erzählerin um die Ecke und fing an eifrig zu erklären, je nach Situation in abwechselnden Perspektiven, wer, was dabei gedacht/ früher angestellt hatte und warum und wie jetzt das alles aufzunehmen wäre. Die Fähigkeit der Leserschaft selbständig zu denken war hier wohl nicht vorausgesetzt, weshalb eine Flut von Fertigbrei die Geschichte zukleiserte, das Vorankommen erschwerte und mir den Spaß am Lesen nahm. Diese Erklärungswut setzte sich leider bis zum Ende durch, was mich etliche Male das Buch beiseitelegen ließ.

Die Figuren, insb. Soledad, standen mir lebendig vor Augen und erzählten ihre Geschichten und zum Schluss auch ihre Geheimnisse. Eine Figur ist abgebrühter als die andere. Was Gut von Böse unterscheidet ist der Grund und die Absicht. Eine Frauenfigur kam mir jedoch schlicht überzeichnet vor, die Beschreibungen ihres Verhaltens mal unbeholfen, mal gekünstelt. Aber insg. war auch sie es wert, sie und ihre Beweggründe kennenzulernen.

Viele Themen wie Familienzusammenhalt, Liebe, Freundschaft sind ein fester Bestandteil des Romans, auch Umgang mit Demenz, mit Leibeigenen, Sklavenhandel sind prima hineingewoben worden.

Die Liebesgeschichte zwischen Mauro, einem sympathischen Kerl mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, der zwei erwachsene Kinder hat, und Soledad, der letzten Frau aus dem alten Winzerclan, die was vom Geschäft versteht und schwer um die Reste ihres Vermögens kämpft, ist doch recht gut geworden. Viele Verwicklungen: die Beiden mussten vieles meistern und etliches bewältigen.

Fazit: Wer Familiengeschichten mit ihren alten Geheimnissen liebt, wird hier fündig. Ich habe auf etwas mehr Kunstfertigkeit gehofft, daher vergebe ich gute drei Sterne und eine Leseempfehlung für die Fans des Genres.