Rezension

Ein Herz... eh, 35 Mädchen und eine Krone

Selection - Kiera Cass

Selection
von Kiera Cass

Bewertet mit 4 Sternen

Selektiert diesen Titel nicht von eurer Wunschliste, denn hier bekommt man faszinierende Unterhaltung und einen wahren Pageturner ohne viel Tiefgang - dafür mit jeder Menge Spaß!

"Wie zum Teufel war ich nur in diese Lage geraten? Vor einem Monat noch hatte ich ein geordnetes Leben gehabt, und nun war mir alles Vertraute abhandengekommen. Ich hatte einen neuen Wohnort, eine neue Kaste, ein neues Leben. Und alles nur wegen eines blöden Briefs und eines Fotos. Am Liebsten hätte ich mich hingehockt und laut geweint, um alles, was ich verloren hatte."
["Selection" // Kiera Cass // S. 94]

Erster Satz:
Meine Mutter war völlig ekstatisch, als wir den Brief bekamen.

Inhalt:
Durch viele Kriege wurde das einstige Amerika zerstört und ist nun unter dem Namen Illéa bekannt. Unter der Herrschaft von des Königspaar besteht der neue Staat aus acht unterschiedlichen Kasten, wobei acht die unterste Schicht und eins das Königshaus repräsentiert. Innerhalb der Kasten herrschen strenge Regeln, die beispielsweise das Heiraten in niedrigere Kasten untersagen und auch die Armut und Kriminalität in den unteren Kasten ist stark präsent. Die junge America Singer ist Mitglied der fünften Kaste, die Kaste der Künstler, und lebt in ärmlichen Verhältnissen. Als eines Tages ein Brief ins Haus kommt, der verkündet, dass der Prinz auf Brautschau ist und zu einem Casting aufruft, wird America gedrängt an diesem teilzunehmen, obwohl sie - verbotenerweise - den der sechsten Kaste angehörigen Aspen liebt. Gemeinsam mit vierunddreißig weiteren Mädchen, die nach der Krone trachten, wird sie in den Palast geladen, um um die Gunst des Prinzen Maxon zu kämpfen. Doch dieser ist für sie nichts weiter als der arrogante Thronfolger und liebevolle Gefühle könnte sie niemals für ihn entwickeln, schließlich ist da noch Aspen, den sie einfach nicht vergessen kann...

Schreibstil:
Gegen einen jugendlich leichten Schreibstil habe ich prinzipiell wenig, nur ein wenig Wiederekennungswert empfinde ich immer als gute Zwischenbalance. Es muss nicht immer wulstige Poesie sein, aber Kiera Cass' Schreibstil bringt wenig Eigenständigkeit mit. Die ersten Seiten lesen sich relativ plump und platt, ohne viele Beschreibungen und mit der etwas distanziert wirkenden und emotionslosen Abfolge von Sätzen. Der Einstieg fiel aber nur im Hinblick auf den Schreibstil schwer, an dessen Einfachheit man sich wohl einfach gewöhnen muss. Entgegen aller Erwartungen liest sich das Buch nämlich enorm flott, die Seiten fliegen nur so dahin und man merkt gar nicht, dass man nicht mehr auf der fünfzigsten, sondern bereits auf der zweihunderfünfzigsten Seite ist, was definitiv für das Buch spricht. Dennoch hätte man aus dem Stil mehr rausholen können. Das direkte Servieren von Charaktereigenschaften hat das eigene Erkunden und Urteilen doch etwas schwieriger gemacht und man merkt, wie man quasi von der Hauptfigur direkt eine Meinung über die Figuren vorgesetzt bekommt. Mehr Beschreibung, weniger "vor die Füße werfen" hätte dem Stil gut getan.

Meine Meinung:
Im traurigem Angesicht der Tatsache, dass es heute kaum noch etwas gibt, was es eben nicht gibt - ja, auch zwei Hände voll Frauen, die um die Gunst eines reichen Mannes kämpfen und dabei vor laufender Kamera gerne mal über die Grenzen der Privatsphäre sausen - ist genau dieser Fakt wohl auch Grundlage für eine gute Geschichte. Das zumindest muss sich Kiera Cass gedacht haben, als sie ein wenig "Die Tribute von Panem" nahm, den "Bachelor" dazugab und schließlich einmal kräftig umrührte: Da haben wir den Salat! Nur schafft diese bunte Mischung aus hübschen Kleidern, Mädchen und Märchenträumen das, was die umstrittene Serie um den vermeintlichen Millionär eben nicht geschafft hat, nämlich den kniffeligen Spagat zwischen Unterhaltung, Ernsthaftigkeit und Seriösität? Mal ganz davon abgesehen, dass der Akt des Lesens schon eine ganze LKW-Ladung mehr Niveau hat: Eindeutig Ja! Auch wenn "Selection" sicherlich kein dystopisches Meisterwerk ist, Unterhaltung bekommt man und das mit weniger der allseitsbekannten Niveaulosigkeit.

Dabei ist "Selection" wohl eher eine Dystopie im Märchenkleid, wobei diese sich öfters mal unter bauschigen Röcken versteckt. Zwischenzeitlich könnte man nämlich meinen, die Geschichte sei einfach nur ein Märchen ohne bestimmte zeitliche Einordnung, kommt doch der dystopische Faktor mehr als kurz. Vor allen Dingen die typische Beklemmung in der Herz- und Magengegend bleibt bei dieser Geschichte völlig aus, was eigentlich auch mal eine nette Abwechslung im immergleichen, nervenaufreibenden Dystopie-Genre darstellen dürfte. Allerdings ist ebendies auch einer der vielen kleinen Kritikpunkte: die Welt. Auch wenn der Schwerpunkt auf dem Casting und der Entwicklung von Americas Gefühlen liegt, drängen sich die Lebensumstände inklusive dem geschichtlichen Hintergrund der Welt, in der America lebt oft in den Hintergrund, wenn man von kleinen, aber nichtssagenden Geschichtsstunden absieht. Wie kam es zu dem Kastensystem, gerade in einer zukünftigen Welt ist das nur schwer vorstellbar? Warum genau wurde Krieg geführt und warum gibt es wieder eine Monarchie? All das wird nicht erklärt und lässt den Leser mit einem dicken Fragenkatalog zurück.

Kritikpunkt Nr. 2 wäre America selbst (beim Namen drängte sich bei mir schon die Frage auf, wie man sein Kind nach einem zerstörten Land benennen kann, dessen Name aus Scham- und Zerstörungsgründen nicht mehr existiert, was allerdings eher halbherzig im Laufe des Buches erklärt wird!), denn America ist eine kleine Mary Sue (was mich insgesamt aber nicht so sehr störte, wie es klingen mag). Eine sympathische, das schon, aber doch wirkte ihre Bescheidenheit und Liebenswürdigkeit eher aufgesetzt, als echt, ist sie doch oft auch ganz schön oberflächlich und schnell, wenn es ums Urteilen geht. Dennoch fällt es einem leicht mit ihr zu sympathisieren, auch wenn sie die Dinge ziemlich schnell hinnimmt: Sie muss von zu Hause weg - einmal weinen und die Sorgen sind vergessen. Aspen macht Schluss - einmal weinen und gut ist. Ihre Gefühle ändern sich ein wenig zu schnell, sodass man ihr ihre angeblich doch so ernsten Gefühle kaum abnehmen kann. Maxon hingegen ist der perfekte Gentleman - er bleibt ein wenig blass, scheint nicht so richtig aus sich herauszukommen und trotzdem ist er ein großer Sympathieträger, gerade auch was seinen Umgang mit den Mädchen angeht.

Ebenfalls auffällig ist die Schwarz-Weiß-Malerei, gerade unter den Erwählten. Die vierunddreißig anderen Mädchen wirkten allenfalls etwas blass und waren entweder "gute" Erwählte und "böse" Erwählte. Die Grauschattierungen kamen etwas kurz, obwohl ich hoffe (und auch glaube), dass hinter Marlee noch ein wenig mehr steckt, als sie uns bisher gezeigt hat. Ansonsten lernt man relativ wenige von den Mädchen genauer kennen - was bei der Anzahl natürlich auch schwer realisierbar ist, aber doch hat man so die ganze Zeit über das Gefühl, dass America eigentlich keine Konkurrenz hat. Niemanden scheint es zu geben, der ihr auch nur im Entferntesten das Wasser reichen kann, was sie auch immer mit Worten wie "XY war wohl ganz hübsch" und "...aber sie sah ganz anders aus als ich" unterstreicht. Das führt natürlich dazu, dass das Buch sehr vorhersehbar ist (auch wenn der Plot schon vor dem Lesen klar ist!), so fehlt aber eine ganze Menge Spannung, die man mit ebenbürtigen Konkurrentinnen sicherlich noch ein wenig hätte steigern können.

Außer ein paar Rebellenangriffen passiert sonst eigentlich relativ wenig in "Selection" - das addiert mit der Tatsache, dass nicht einmal der Wettbewerb in diesem Buch zu Ende gebracht wird, ist ein wenig ernüchternd, macht aber definitiv auch Vorfreude auf den kommenden zweiten Teil (engl. The Elite). Dennoch hält "Selection" konstant eine unsichtbare Spannung und Neugierde, die erst abflaut, wenn man die letzte Seite gelesen und das Buch zugeschlagen hat, denn eins muss man dem Buch trotz der etwas oberflächlichen und plumpen Story lassen: Es hat eindeutig den Suchtfaktor, der einen dazu bringt bis um halb fünf zu lesen (wie in meinem Fall!). Vielleicht ist es gerade dieser Mädchentraum - in einem Palast leben, wie eine Prinzessin behandelt werden, etc. der diese Sucht ausgelöst hat, vielleicht aber auch einfach nur die Tatsache, dass "Selection" trotz allem ziemlich gut zu unterhalten weiß, jedenfalls hatte ich sehr viel Spaß mit der Geschichte um America und ihre zweigleisigen Gefühle.

Fazit:
Selektiert die Geschichte um America und ihre zwei (Traum-)Prinzen nicht von eurer Wunschliste, denn zwischen den Herzstillständen und schweißnassen Fingern, die andere Dystopien verursachen, ist "Selection" eher ruhigerer Natur ohne viele dystopische Elemente. Das Buch liest sich vielmehr wie ein modernes Märchen, was durchaus seine Reize hat und einfach Spaß macht - zumal man es sich einfach so weglesen lässt und man sich irgendwie gar nicht davon loseisen kann. Die Geschichte und der geschichtliche Hintergrund ist zwar noch nicht ganz ausgereift und auch die Figuren tun sich noch ein wenig schwer, insgesamt ist "Selection" aber definitiv eine lesenswerte, wenn auch etwas plump geschriebene Story mit Suchtfaktor und zeigt sich noch dazu in einem schönen Gewand, das sich sehen lassen kann. Trotz kleinerer und größerer Schwächen eine klare Leseempfehlung!