Rezension

Ein hinterhältiges Buch

Angerichtet - Herman Koch

Angerichtet
von Herman Koch

Bewertet mit 5 Sternen

Dieses Buch ist hinterhältig. Klein und harmlos sieht es aus. Man denkt: Nett, das könnte ich mal lesen.
Und harmlos fängt es dann auch an. Vier Menschen treffen sich in einem Nobelrestaurant. Sie haben etwas zu besprechen, aber offensichtlich keine Eile damit. Ausführlich und urkomisch erzählt der Geschichtslehrer Paul Lohmann von dieser Situation, holt weit aus, beleuchtet jeden der Anwesenden gründlich nebst Schlenkern in die ein oder andere Vergangenheit.

„Meine Frau, ich sollte das nicht mehr sagen. Sie heißt Claire. Ihre Eltern haben sie Marie Claire genannt, aber irgendwann wollte sie nicht mehr wie eine Frauenzeitschrift heißen. Manchmal nenne ich sie Marie, um sie zu ärgern.“

Auch nach den ersten 100 Seiten ist hier eigentlich noch nichts passiert. Ab und an gibt es mal eine dezente Andeutung, ansonsten erzählt Paul höchst amüsant und mit einer Weitschweifigkeit, die Methode hat. Man ist kurz davor, genervt zu sein, aber dann ist es doch wieder kreuzkomisch. Paul ist gnadenlos ehrlich, beschönigt nichts, serviert es aber immer mit köstlichem Humor.
Dann geht es ans Eingemachte und da vergeht einem das Lachen ganz schnell.

Die Söhne der beiden Familien haben etwas ausgefressen und dabei geht es nicht um den berühmten Fußball in der Fensterscheibe. Eine handfeste Straftat steht im Raum. Was macht man jetzt damit?
Auch hier führt der Autor den Leser wieder gekonnt in die Irre. Häppchenweise erfährt man, was passiert ist. Zwischendurch macht man wieder Ausflüge in die Vergangenheit, die nach und nach die Protagonisten in einem ganz anderen Licht zeigen. Immer neue Aspekte kommen dazu, bis man nur noch staunt und voller Grauen auf das dicke Ende wartet.

Dieses Buch ist genial. Sehr subtil spielt hier ein Autor mit dem Leser, hält ihn hin, erstaunt, amüsiert, entsetzt und wartet dann auch noch mit einem höchst unerwarteten Ende auf.
Ich bin beeindruckt und hatte Spaß, werde aber noch eine Weile darüber nachdenken. Was hätte ich getan in dieser Situation? Keine Ahnung…

Kommentare

Naibenak kommentierte am 23. Juni 2017 um 14:58

Genau! Ich finde diese - deine - letzte Frage auch äußerst spannend. Wenn man nicht betroffen ist, kann man viel erzählen... ;) Ein irre-krasses Buch! Hat mir auch gefallen! Danke für diese tolle Rezi :-)