Rezension

Ein Klassiker von morgen?

Tschick - Wolfgang Herrndorf

Tschick
von Wolfgang Herrndorf

Bewertet mit 5 Sternen

Zwei Jungs. Ein geknackter Lada. Eine Reise voller Umwege durch ein unbekanntes Deutschland. Mutter in der Entzugsklinik, Vater mit Assistentin auf Geschäftsreise: Maik Klingenberg wird die großen Ferien allein am Pool der elterlichen Villa verbringen. Doch dann kreuzt Tschick auf. Tschick, eigentlich Andrej Tschichatschow, kommt aus einem der Assi-Hochhäuser in Hellersdorf, hat es von der Förderschule irgendwie bis aufs Gymnasium geschafft und wirkt doch nicht gerade wie das Musterbeispiel der Integration. Außerdem hat er einen geklauten Wagen zur Hand. Und damit beginnt eine unvergessliche Reise ohne Karte und Kompass durch die sommerglühende deutsche Provinz.

Am Ende der 8. Klasse sieht der 14jährige Maik Klingenberg den Sommerferien alles andere als freudig entgegen. Er kommt zwar aus einem wohlhabenden aber zerrütteten Elternhaus und gilt in der Klasse eher als Langweiler. Deshalb wird er auch nicht zum Geburtstag der angesagtesten Mitschülerin eingeladen: Tatjana. Ausgerechnet. Maiks heimliche Liebe nimmt gar keine Notiz von ihm...
Dafür aber der neue Mitschüler, dessen Namen niemand aussprechen kann und der deshalb bald schon von allen nur 'Tschick' genannt wird. Tschick ist ein wortkarger russischer Spätaussiedler,  der hin und wieder sichtlich betrunken zum Unterricht erscheint und im Grunde zu niemandem in der Klasse Kontakt hat. Auch er wird nicht zum Geburtstag von Tatjana eingeladen, doch er sucht den Kontakt zu Maik, der ebenso Außenseiter ist wie er.

Als Maiks Mutter zu Beginn der Sommerferien wieder einmal in die Entzugsklinik muss und sein Vater beschließt, mit seiner bildhübschen Assistentin auf Geschäftsreise zu gehen, sieht sich Maik plötzlich allein in der großen Villa. Doch bevor er noch überlegen kann, was er mit seiner unerwarteten Freiheit anfangen soll, steht Tschick mit einem 'geborgten' Lada vor der Haustür.
Und der Sommer kann beginnen...

"Es war ein euphorisches Gefühl, ein Gefühl der Unzerstörbarkeit. Kein Unfall, keine Behörde und kein physikalisches Gesetz konnten uns aufhalten. Wir waren unterwegs, und wir würden immer unterwegs sein." (S. 216)

Ohne Karte und Kompass machen sich die beiden einfach auf den Weg. Ziel ist die Walachai, wo Tschicks Onkel wohnt. Keiner weiß, wo es wirklich lang geht, doch sie fahren einfach drauflos. Ein bunter Reigen von Begegnungen, Orten, Ereignissen, Gedanken und Gesprächen erwartet die beiden Jungen - und mit ihnen den Leser.
'Der Weg ist das Ziel', könnte das Motto dieses Romans sein. Und tatsächlich ist der Ich-Erzähler Maik Klingenberg auf dem Weg. In die Sommerferien, in sein Leben, zu sich selbst.

"Die Welt ist schlecht, und der Mensch ist auch schlecht. Trau keinem, geh nicht mit Fremden und so weiter. Das hatten mir meine Eltern erzählt, das hatten mir meine Lehrer erzählt, und das Fernsehen erzählte es auch. Wenn man Nachrichten kuckte: Der Mensch ist schlecht. Wenn man Spiegel TV kuckte: Der Mensch ist schlecht. Und vielleicht stimmte das ja auch, und der Mensch war zu 99 Prozent schlecht. Aber das Seltsame war, dass Tschick und ich auf unserer Reise fast ausschließlich dem einen Prozent begegneten, das nicht schlecht war." (S. 254)

Ein besonderes Buch über die Zeit des Heranwachsens, authentisch im Jugendslang, umstandslos, vor allem aber zart - komisch und berührend zugleich, einfach schön! Eine einzigartige Mischung aus Roadmovie und Jugendroman - ein kluges Buch, das für mich sogar das Potential hat, einmal zu den Klassikern zu gehören. Was 'Der Fänger im Roggen' von Jerome D. Salinger kann, kann 'Tschick' allemal!

Immerhin ist das Buch schon lange nicht nur ein Bestseller, sondern hat auch schon einige Preise gewonnen: Das Werk wurde 2010 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis, 2011 mit dem Clemens-Brantano-Preis und 2012 mit dem Hans-Fallada-Preis ausgezeichnet.

Eindeutig empfehlenswert!

© Parden

Kommentare

Naibenak kommentierte am 01. August 2014 um 15:12

Ich habe es als Hörbuch genießen dürfen! Sehr empfehlenswert!!! :)

parden kommentierte am 01. August 2014 um 17:04

Wer hat es denn gelesen?

Britta Röder kommentierte am 05. August 2014 um 14:21

Ich habe es gelesen und fand es wunderbar.

Und noch besser von Herrnsdorf, weil sprachlich und was den Plot betrifft noch genialer, fand ich "Sand".

parden kommentierte am 07. August 2014 um 06:47

Das will ich auch unbedingt noch lesen!

Naibenak kommentierte am 02. August 2014 um 19:28

Das war Hanno Koffler. Echt toll! :)

parden kommentierte am 03. August 2014 um 00:55

Dann halte ich danach mal Ausschau!