Rezension

Ein Kunstwerk

Wiesenstein - Hans Pleschinski

Wiesenstein
von Hans Pleschinski

Bewertet mit 4.5 Sternen

Selten habe ich mich von einem Buch in solchem Ausmaße 'gebildet' gefühlt, wie von 'Wiesenstein'. Hans Pleschinski bringt mir den zweiten Weltkrieg in einer Intensität nahe, wie es andere Werke bisher nicht geschafft haben. Da werden Nebensätze zu treffsicheren Pfeilen in Herz und Hirn. Die Geschehnisse nach der Zerbombung Dresdens bis zum Kriegsende und darüber hinaus werden beispielhaft an der Familie Hauptmann und ihrer Umgebung in Niederschlesien erzählt.

Doch ist die Schilderung der historischen Ereignisse gar nicht Hauptanliegen dieses Romans, wenn sie ihn gleichwohl mit einer Eindringlichkeit ausstatten, die ihresgleichen sucht.

Im Zentrum von Pleschinskis Roman stehen vielmehr Gerhart Hauptmann selbst und sein Werk bzw. die Welt, die er geschaffen hat und in der er bis zum letzten Atemzug leben wollte - Wiesenstein. Der Leser erhält ein vielseitiges Portrait eines der 'großen' Männer der deutschen Literatur und seiner Frau. Bis zuletzt, während der letzten Kriestage und darüber hinaus, lebten Hauptmanns auf ihrem Anwesen mit Zofe, Gärtner, Köchin, Sekretärin, Diener und Privat-Pfleger. Der Kontrast zwischen den Geschehnissen 'vor der Tür' und dem, was in Wiesenstein passiert, könnte größer nicht sein. Entsprechend verwirrt sind auch gelegentliche 'Besucher' und auch der Leser schüttelt zunehmend fassungslos den Kopf. Nein, auch wenn Pleschinski durch eine tiefgreifende Verwebung von Gerhart Hauptmanns Werk in den Text von 'Wiesenstein' eine gewisse Verbeugung vor dem 'Meister' andeutet - sympathisch hat er den Nobelpreisträger und seine Frau nicht dargestellt. Warum Hauptmann handelte, wie er es tat und wieso er sich in einem solchen Ausmaße instrumentalisieren ließ, wird auf die ein oder andere Weise immer wieder im Roman gefragt. Antwort gibt es keine zufriedenstellende, auch wenn Hauptmann zuletzt sogar mit sich selbst ins Zwiegespräch geht.

Was Pleschinski mit Wiesenstein meisterhaft unter Beweis stellt, ist sein Wissen über das Werk Hauptmanns. Literarische Auszüge, Interpretationen, historische Einordnung, das alles findet immer wieder Einzug in den Roman, denn Hauptmann(s) leben und atmen ihren (seinen) Ruhm und seine Werke. Wer Hauptmanns Texte genauer kennt, dem dürfte sogar der ein odere andere Dialog bekannt vorkommen, wer erst durch Wiesenstein einen (doch recht vielseitigen) Einblick in dessen Werk erhält, der merkt davon allerdings nichts, so natürlich wirken die Unterhaltungen in der Wiesensteiner Welt.

Wenn das Sujet eines Romans selbst zum Bestandteil und zum Stilmittel desselbigen wird, wenn Literaturzitate mit biografischen Elementen verschmelzen und der Leser das Gefühl hat, in drei Schulfächern parallel einem Referat zu lauschen, dann muss man schlicht anerkennen, dass der Autor hier Großes vollbracht hat. Es fällt mir schwer, in Worte zu fassen, wie geradezu 'magisch' ich das empfinde, was Pleschinski vollbracht hat. Er hat eine Symbiose geschaffen aus geschichtlichen und biographischen Fakten und dem kompletten Werk des porträtierten Schriftstellers.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 11. März 2018 um 14:57

Toll. Eine solche Wirkung kann ein biographischer Roman haben!!!