Rezension

Ein letzter Lauf

Die Frau, die allen davonrannte
von Carrie Snyder

Bewertet mit 4 Sternen

Aggie Smart war eine Leichtathletin, eine Pionierin, die bei den Olympischen Spielen 1928 für Kanada einen großen Erfolg eingefahren hat. Doch sie ist mehr als eine Gewinnerin, sie ist eine starke, mutige Frau, die Schicksalsschläge und Verluste verkraften musste und nicht immer wusste, wie sie sich am besten zu verhalten hat - nur das Laufen, das klappte fast immer und war ihr meist Trost und Bestätigung.  Nun mit 104 Jahren, als alle Verwandten schon gestorben sind und sie nicht mehr rennen kann, blickt sie zurück auf ein bewegtes Leben.

Die Geschichte beginnt leicht verworren und langsam, denn die alte Frau wird von zwei jungen Menschen aus dem Pflegeheim geholt. Während die Jungen wissen, wer sie ist, hat Aggie keinen Schimmer, lässt sich jedoch mitnehmen und erlebt ihre eigene Geschichte nochmal.  Auch wenn die Geschichte leicht konfus zu beginnen scheint,  nimmt sie beständig Tempo auf und erklärt sich immer mehr. Es ist die Geschichte einer von zahlreichen Schicksalsschlägen getroffenen Familie und einer besonderen Frau, die allen und allem davonrannte, bis zum Schluss.  An vielen Stellen vergaß ich, dass es sich „nur“ um die Biografie einer rein fiktiven Figur handelt. Aggie Smart erzählt aus der Ich-Perspektive, sodass man eine direkte Verbindung zu ihr bekommt und sich in sie und ihre Welt einfühlen kann.

Das Buch war an sich packend, die Geschichte interessant, aber ich hatte mir doch etwas mehr davon versprochen, als es letztlich war. Was genau kann ich gar nicht richtig sagen, aber etwas mehr Spannung und (positive!) Emotion hätten das Buch perfekt gemacht. Vielleicht liegt es auch daran, dass Aggies Erinnerungen nicht chronologisch sind, sondern thematisch und daher munter von der Kindheit, in die Jugend oder ins Erwachsenenalter springen. Das erfordert vom Leser einiges an Aufmerksamkeit, aber letztlich macht die gewählte Form mehr Sinn, da so die Gegenwart mit der Vergangenheit gut verknüpft sind und Erinnerungen nun mal nicht „chronologisch“ ablaufen. Das Thema Leichtathletik wurde in all seinen Facetten gut dargestellt, sodass es auch für Nichtsportler interessant sein dürfte, zumal Aggie Parallelen zum „normalen“ Leben zieht, die man in der Regel sehr gut nachvollziehen kann.  Alle Protagonisten sind gut gezeichnet und man hat sofort eine Vorstellung von ihnen und fiebert an der einen oder anderen Stelle mit. Herausragend schön fand ich das Ende der Geschichte! Stimmig und trotzdem überraschend und nicht so schwarzgemalt, wie die Geschichte bis dahin häufig war.

Das Cover gefiel mir sehr gut und es macht auch Sinn, dass kein Frau, sondern ein Mädchen abgebildet ist, denn in der Kindheit wurden die Grundlagen gelegt…

Ich würde empfehlen den Stammbaum ganz am Beginn des Buches nicht zu betrachten, weil er doch einiges vorwegnimmt und am Ende des Buches meines Erachtens besser aufgehoben wäre.