Rezension

Ein Mütterchen gegen die Angst

Im Sommer wieder Fahrrad
von Lea Streisand

Bewertet mit 4 Sternen

Nach zu Hause fühlt es sich an, wenn man ein Buch von einer Autorin liest, deren Geschichten „War schön jewesen“ man seit einer gefühlten guten Ewigkeit jede Woche morgens vor der Arbeit im Radio hört. Jedes einzelne Wort aus Lea Streisands Roman höre ich beim Lesen in ihrer Stimme, mit ihrer Betonung und dem leicht kodderischen Berliner Dialekt. Ich fühlte mich so, als säße sie neben mir auf der Couch und liest mir vor, und ich werde zu keiner Zeit müde davon (sonst leider immer mein Dilemma mit Hörbüchern – liest mir jemand vor, dämmere ich nach wenigen Minuten ins Land der Träume hinüber).

Im Sommer wieder Fahrrad liest sich leicht und unterhaltsam, obwohl mir die Thematik die Schuhe auszog. Lea Streisand erzählt von sich, von ihrer Krebserkrankung mit gerade Anfang 30 und von ihrem Mütterchen, ihrer Oma, die eine Schauspielerin war und nach dem Zweiten Weltkrieg als Regieassistentin an den Berliner Bühnen arbeitete, über 90 Jahre alt wurde und die Familie zusammen hält. Lea Streisand ist dabei so ehrlich, offen und schonungslos mit sich, ihrer Familie und ihrer Oma, dass ich fast vergesse, einen Roman zu lesen und am Ende sicherheitshalber nochmal google, ob, ...neinnein, das Ende verrate ich nicht. Die Angst hält Lea fest im Arm, und es ist keine trostvolle Umarmung. Es ist eine Klammer, die ihren Alltag bestimmt und keinen Raum mehr für all die Dinge lässt, die ihr wichtig waren. Selbst das Fahrradfahren verbieten die Ärzte, jede Selbstbestimmung ist dahin, alles ordnet sich der Krankheit unter. Da kommt der Koffer aus Mütterchens Nachlass gerade recht. Die Briefe und Reisetagebücher ihrer beherzten, pragmatischen Großmutter helfen Lea über die schlimmste Zeit hinweg und sind auch für mich als Leser ein kurze Atempause zu Leas Geschichten über Ärzte, Chemotherapien und Schuldgefühlen. Dieser Wechsel in unterschiedliche Erzählzeiten vollzieht sich dabei fließend und manchmal fast unbemerkt. Es ist, als ob ich Mäuschen spielen darf in einer Berliner Familie, die viel erlebt und durchgemacht hat, aber vor allem zusammenhält – Berliner Mauer hin oder her.