Rezension

Ein originell konstruierter Roman, aber leider nicht besonders spannend und etwas enttäuschend

Good as Gone - Amy Gentry

Good as Gone
von Amy Gentry

Bewertet mit 3 Sternen

Nachdem ich Good as Gone in der Verlagsvorschau entdeckt hatte, konnte ich es kaum noch abwarten, bis das Buch endlich erscheint und fing sofort an zu lesen, als ich es dann endlich in den Händen hielt. Obwohl ich inzwischen einige Bücher über verschwundene Kinder, die mehrere Jahre später wieder zu ihrer Familie zurückkehren, gelesen habe, bin ich immer wieder gespannt, ob es Autoren gelingt, diese nicht besonders innovative Grundidee noch originell umzusetzen. Dass dies gelingen kann, hat Joy Fielding in ihrem aktuellen Roman Die Schwester eindrucksvoll bewiesen, und die Niederländerin Anita Terpstra, die sich ebenfalls dieser Thematik zuwandte, hat mich mit ihrem grandiosen Thrillerdebüt Anders vollkommen überrascht und überzeugt.
Da Good as Gone in der Verlagswerbung fulminant angepriesen wurde, war meine Erwartungshaltung entsprechend hoch. Irritierend ist ja bereits, dass das Buch auf dem Cover zwar als „Roman“ bezeichnet, aber als Thriller beworben wird. Obwohl Good as Gone durchaus Thrillerelemente aufweist und recht spannend beginnt, würde ich dieses Buch nicht als Thriller bezeichnen, da sich die anfängliche Spannung leider recht schnell verliert und bedauerlicherweise auch nicht mehr zurückkehrt.
Als Julie, die als dreizehnjähriges Mädchen vor den Augen ihrer kleinen Schwester entführt wurde, acht Jahre später wieder auftaucht, ist die Freude der Familie natürlich groß. Doch die Euphorie weicht recht schnell dem Zweifel, und vor allem Julies Mutter Anna hegt zunehmend den Verdacht, dass die junge Frau, die behauptet, ihre vermisste Tochter zu sein, gar nicht Julie ist.
Die Handlung folgt zwei Erzählsträngen. In dem hauptsächlichen Handlungsstrang begleitet man Anna auf ihrer verzweifelten Suche nach der Wahrheit um die Identität ihrer vermeintlichen Tochter, während man in dem Nebenstrang mit Erzählperspektiven unterschiedlicher Frauenfiguren konfrontiert wird. Die Textpassagen, in denen die vergangenen Lebensstationen dieser Frauen geschildert werden, waren zunächst überaus verwirrend, denn auf den ersten Blick scheinen sie mit der Haupthandlung nichts zu tun zu haben. Den Zusammenhang konnte ich zwar irgendwann erkennen, aber solange ich den Sinn dieser Nebenstränge nicht verstand, empfand ich sie einfach als lästige Unterbrechungen. Mag sein, dass diese Erzähltechnik originell ist, aber bei mir führte sie leider dazu, dass mich irgendwann gar nicht mehr interessierte, ob die zurückgekehrte junge Frau tatsächlich Julie ist. Spätestens nachdem dann auch noch eine religiöse Komponente immer stärker in den Fokus rückte, verlor ich gänzlich das Interesse an Julies Identität und Schicksal.
Die Haupthandlung, die aus der Ich-Perspektive von Anna erzählt wird, war hingegen sehr gelungen. Die Protagonistin ist sehr gut ausgearbeitet, und die Ich-Perspektive ermöglicht einen direkten Einblick in ihr Denken und Fühlen, das sehr authentisch und nachvollziehbar geschildert wird. Sie will unbedingt glauben, dass die junge Frau, die eines Abends vor der Tür steht, ihre vermisste Tochter ist. Der Gedanke, dass sie ihr eigenes Kind nicht erkennt, ist für sie sehr schmerzhaft, denn die zurückgekehrte Julie ist ihr so vollkommen fremd, dass sie endlich Gewissheit braucht. Als Anna von einem Privatdetektiv mit dem Verdacht konfrontiert wird, dass diese junge Frau nicht ihre Tochter ist, reagiert sie zunächst vollkommen ablehnend, denn sie möchte nicht, dass er recht hat. Sie will diejenige sein, die ihr Kind besser kennt als irgendein Fremder. Obwohl ich mich in Anna sehr gut einfühlen konnte, ergaben ihre Handlungen für mich häufig keinen Sinn. Mir war zum Beispiel nicht klar, warum sie manche Entdeckungen einfach für sich behält und ihren Mann Tom nie mit ihrem Verdacht konfrontiert. Das Familiengefüge gerät nicht durch Julie, sondern vielmehr durch Annas beharrliches Schweigen ins Wanken, und leider wurde mir nie klar, warum sie sich ihrem Mann gegenüber nicht öffnet. Da man nur Annas Perspektive folgt, lernt man ihren Mann Tom und auch Julies jüngere Schwester Jane im Grunde kaum kennen, dabei birgt gerade die Familienkonstellation eigentlich enormes Potenzial. Die Reaktionen der einzelnen Familienmitglieder auf Julies Rückkehr und auch die Gründe für Janes rebellisches Verhalten werden allerdings nur angedeutet, weil der Fokus vollkommen auf Anna liegt. Sie ist ziemlich allein mit ihren Zweifeln, behält sie für sich und stellt alleine Nachforschungen an.
Obwohl der Verdacht eigentlich recht schnell in eine Richtung gelenkt wird, war auch ich häufig hin- und hergerissen, ob es sich bei der jungen Frau tatsächlich um das seit acht Jahren vermisste Mädchen handelt. Man muss diesem Roman lassen, dass er sehr raffiniert und überaus innovativ konstruiert ist. Es ist der Autorin durchaus gelungen, den Plot wendungsreich zu gestalten, aber das Potenzial, das sich hinter dieser Konstruktion und der eigentlich guten Grundidee verbirgt, entfaltet sich leider erst ganz am Schluss. Aufgrund der etwas verwirrenden Nebenstränge, war mein Interesse an der Auflösung jedoch inzwischen nahezu verpufft. Das Ende ist zwar wirklich überraschend, logisch und glaubwürdig ist es auch, aber die religiöse Komponente, die hier besonders in Erscheinung tritt, konnte mich leider nicht überzeugen.
Ich war ein wenig enttäuscht von Good as Gone, denn ich empfand diesen Roman weder als besonders spannend noch als tiefgründig, obwohl die psychologischen Momente mitunter durchaus interessant waren. Wirklich beeindruckt war ich hingegen vom Schreibstil der Autorin, der mir ausgesprochen gut gefallen hat und sich sehr angenehm und flüssig lesen lässt. Die Konstruktion von Good as Gone ist durchaus originell, doch leider ging gerade das auf Kosten der Spannung und der an sich guten Grundidee, die dem Roman zugrunde liegt.